die beiden folgenden fundamentalen Veränderungen literarische Konsequenzen
ausgelöst.
Zum einen brachte das weiträumige Ausgreifen griechischer Kultur in den
Vorderen und Mittleren Orient eine gewaltige Erweiterung des Wahrnehmungs-
horizonts mit sich. Es öffnete sich eine neue und fremde Welt; die griechische
Oberschicht in der orientalischen Diaspora hielt zäh an ihren eigenen Lebens-
formen und an der eigenen kulturellen Identität fest (etwa durch die Errich-
tung von Gymnasien und Theatern) und schottete sich im Überlegenheitsgefühl
gegenüber der >barbarischen< Umwelt gegen deren Einflüsse weitgehend ab.
Dennoch kam es zwangsläufig zu vielfältigen Berührungen und Verschmelzun-
gen. Zum anderen hatte die Etablierung großflächiger Monarchien einen tiefgrei-
fenden politisch-gesellschaftlichen Wandel zur Folge. War das politische Leben
zuvor durch die Struktur relativ kleiner, autonomer Poleis bestimmt, deren Bür-
ger sich jeweils als Subjekt der Politik begriffen, so traten an deren Stelle nun
großräumige, zentralistisch regierte Monarchien, in denen sich der Einzelne
nur noch als Objekt der Politik empfinden konnte. Des weiteren bildeten sich
im Umkreis der höfischen Residenzen neue Metropolen. In ihnen konzentrierte
sich nunmehr das kulturelle Leben, das von den Herrschern jeweils nach Kräf-
ten gefördert wurde — und zwar primär aus Gründen der Repräsentation und mit
dem Ziel der Mehrung des eigenen dynastischen Prestiges.
Diese Veränderungen bewirkten einen epochalen Wandel der Wahrnehmungs-
weisen, Haltungen und Einstellungen, kurz: einen Wandel der Mentalität, der
wiederum seinen Niederschlag in der Literatur fand. Sie ist zunächst (und vor
allem) durch Tendenzen bestimmt, die sich unter den Begriffen >Entpolitisie-
rung< bzw. >Privatisierung< bündeln lassen. Hatte die Literatur des 5. und 4. Jh.s
die menschlichen Dinge primär unter dem Gesichtspunkt ihrer Verankerung in
der Polis-Gemeinschaft gesehen, so verliert dieser politische Aspekt nunmehr
seine starke Dominanz und wird ausgeklammert, insofern sich der einzelne auch
als Untertan empfinden konnte, der die Entscheidungen der Zentrale ohne die
Möglichkeit wesentlicher eigener Einflußnahme hinzunehmen und zu erdulden
hat. An die Stelle politischer Fragestellungen und Themen tritt das Private und
Individuelle: die Thematisierung der vielfältigen Lebensbereiche des Alltags
und der Familie sowie insbesondere auch der Welt des Erotischen und seiner
mannigfachen Aspekte.1
Die Konzentration der kulturellen Aktivitäten in den höfischen Residenzen
und das diesbezügliche starke Engagement und Repräsentationsbedürfnis der
Herrscher haben des weiteren zur Folge, daß so etwas wie Hofpoesie mit den
ihr eigenen Tendenzen entsteht. Die von den Herrschern geförderten und auf
DIE LITERATUR ALS SPIEGEL EPOCHALEN WANDELS
261
ausgelöst.
Zum einen brachte das weiträumige Ausgreifen griechischer Kultur in den
Vorderen und Mittleren Orient eine gewaltige Erweiterung des Wahrnehmungs-
horizonts mit sich. Es öffnete sich eine neue und fremde Welt; die griechische
Oberschicht in der orientalischen Diaspora hielt zäh an ihren eigenen Lebens-
formen und an der eigenen kulturellen Identität fest (etwa durch die Errich-
tung von Gymnasien und Theatern) und schottete sich im Überlegenheitsgefühl
gegenüber der >barbarischen< Umwelt gegen deren Einflüsse weitgehend ab.
Dennoch kam es zwangsläufig zu vielfältigen Berührungen und Verschmelzun-
gen. Zum anderen hatte die Etablierung großflächiger Monarchien einen tiefgrei-
fenden politisch-gesellschaftlichen Wandel zur Folge. War das politische Leben
zuvor durch die Struktur relativ kleiner, autonomer Poleis bestimmt, deren Bür-
ger sich jeweils als Subjekt der Politik begriffen, so traten an deren Stelle nun
großräumige, zentralistisch regierte Monarchien, in denen sich der Einzelne
nur noch als Objekt der Politik empfinden konnte. Des weiteren bildeten sich
im Umkreis der höfischen Residenzen neue Metropolen. In ihnen konzentrierte
sich nunmehr das kulturelle Leben, das von den Herrschern jeweils nach Kräf-
ten gefördert wurde — und zwar primär aus Gründen der Repräsentation und mit
dem Ziel der Mehrung des eigenen dynastischen Prestiges.
Diese Veränderungen bewirkten einen epochalen Wandel der Wahrnehmungs-
weisen, Haltungen und Einstellungen, kurz: einen Wandel der Mentalität, der
wiederum seinen Niederschlag in der Literatur fand. Sie ist zunächst (und vor
allem) durch Tendenzen bestimmt, die sich unter den Begriffen >Entpolitisie-
rung< bzw. >Privatisierung< bündeln lassen. Hatte die Literatur des 5. und 4. Jh.s
die menschlichen Dinge primär unter dem Gesichtspunkt ihrer Verankerung in
der Polis-Gemeinschaft gesehen, so verliert dieser politische Aspekt nunmehr
seine starke Dominanz und wird ausgeklammert, insofern sich der einzelne auch
als Untertan empfinden konnte, der die Entscheidungen der Zentrale ohne die
Möglichkeit wesentlicher eigener Einflußnahme hinzunehmen und zu erdulden
hat. An die Stelle politischer Fragestellungen und Themen tritt das Private und
Individuelle: die Thematisierung der vielfältigen Lebensbereiche des Alltags
und der Familie sowie insbesondere auch der Welt des Erotischen und seiner
mannigfachen Aspekte.1
Die Konzentration der kulturellen Aktivitäten in den höfischen Residenzen
und das diesbezügliche starke Engagement und Repräsentationsbedürfnis der
Herrscher haben des weiteren zur Folge, daß so etwas wie Hofpoesie mit den
ihr eigenen Tendenzen entsteht. Die von den Herrschern geförderten und auf
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