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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Wütschke, Hans: Friedrich Hebbel und das Tragische
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0074
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70 HANS WÜTSCHKE.

Die »dualistische Form alles Seins« tritt kraß hervor. Die durch das
Individuum gefährdete Idee aber gesundet durch sich selbst und ver-
nichtet das Individuum. Das ist die »Selbstkorrektur der Welt«, auf
der alle Tragik beruht. Schuld und Versöhnung im üblichen Sinn
existieren nicht. Der Untergang des Individuums ist gewissermaßen
eine unverschuldete Schuld: unverschuldet, indem er ohne positiven
Einfluß des Individuums, allein durch dessen natürliche Entwicklung
erfolgt, verschuldet, indem die Existenz des Individuums an sich schon
die Schuld — d. h. den Trieb zur Selbstüberhebung — in sich schließt.
Die Versöhnung ist immer nur eine Versöhnung (= Wiederherstellung)
der Idee. — Diese Ansichten hat der tragische Dichter mit allen ihren
Konsequenzen in seinen Tragödien zu berücksichtigen. Auf der ge-
wissenhaften Durchführung der in ihnen liegenden Gesetze beruht die
tragische Wirkung. Sowohl Situation als Charaktere müssen in strengster
Notwendigkeit der Darstellung der »Selbstkorrektur der Welt« genügen.

Hebbel ist es nicht immer gelungen, seiner Theorie gerecht zu
werden. In der »Judith« leidet die tragische Stimmung unter der zu
starken Hervorkehrung des Problems; am nächsten kommt er seinen
Forderungen für die Tragödie in der »Maria Magdalena« und der
»Agnes Bernauer«, ganz verfehlt ist aber die experimentierende Tragödie
»Julia«, in der der Dichter zu viel auf einmal leisten wollte.

Mit diesen Ansichten über das Wesen des Dramatisch-Tragischen
und der Tragödie steht Hebbel den ästhetischen Anschauungen der
spekulativen Philosophie, vor allem Hegels, am nächsten, besonders
mit seiner Definition der tragischen Schuld und Versöhnung. Die
Neigung aber, der Ästhetik philosophische Betrachtungen unterzulegen,
teilt Hebbel, trotz seinem Widerspruch, mit Hegel und seiner Schule.
Mit der optimistischen Auffassung bei Lipps hat Hebbel nichts Ge-
meinsames, wohl aber mit der pessimistischen, wie sie Volkelt neuer-
dings verlangt.
 
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