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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Westheim, Paul: Plakatkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0136
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PAUL WESTHEIM.

dings die Fähigkeit, sich in die Empfindungs- und Anschauungswelt
anderer Volksschichten einfühlen zu können. Das erscheint paradox
und ist doch nichts anderes, als wenn ein königstreuer Mann sich aus
sachlicher Freude für eine Schöpfung der Revolutionslyrik begeistern
würde. Kein geringerer als Hans von Marees hat das Wort ge-
schrieben: »Nichts ist trauriger in der Welt als das Mißverstehen, und
man soll vom Apfel nicht verlangen, daß er auch eine Rose sei.«

Nach der technischen Seite ist dies ja bereits in der Anerkennung
des »Plakatstiles« geschehen. Denn diese Art der großzügigen, breit-
flächigen, 'grellleuchtenden Farbenwirkungen ist nur das, was als zweck-
mäßig und wirksam notwendig geworden ist. Eine Ausdrucksweise
ist hier geschaffen worden, die mit den Verkehrsformen unserer Zeit
und der Aufnahmefähigkeit des menschlichen Auges geschickt rechnet.
Dieser Stil ist im letzten Grunde nichts als ein Entgegenkommen gegen
die Gewohnheiten und die Veranlagung der hastenden Massen. Man
wird kein Gemälde im Plakatstil gelten lassen wollen und sollte daher
auch nicht von der Affiche Bildwirkungen verlangen. Wer dem Plakat-
künstler deshalb einen Vorwurf macht, begeht selbst einen groben
Fehler. Ein Maler mag von seiner Zeit unterschätzt und verkannt
werden, er kann nach vielen Jahren — vielleicht erst lange nach seinem
Tode — recht gewürdigt werden, wie wir es bei einem Otto Runge,
einem Kaspar David Friedrich oder Anselm Feuerbach erlebt haben.
Der Plakatkünstler kann nicht auf die Nachwelt warten, er kann nicht
einen Zukunftsruhm erharren, er schafft für den Tag und in den Tag
hinein. Er will heute wirken, heute Käufer und Kunden anlocken,
heute sein Reklamestichwort in die Menge hinausschreien.

Das Gemälde erstrebt einen zeitlosen Dauerwert, das Plakat wird
nach vierundzwanzig kurzen Stunden überklebt.
 
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