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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0166
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162

BEMERKUNGEN.

gänzungsverhältnisses, das damit zwischen Paaren unserer heutigen Künste hervor-
gehoben wird, weiter geht zur Verwendung des Ausdrucks »komplementär« in der
Physik, kommt damit auf das Reich der Farben und so zu einem Gesichtspunkt,
der dem Gebiet der Kunst selber fern liegt, d. h. der Natur entlehnt ist. Hätte
Meumann nicht nur aus der kurzen Angabe eines Literaturberichtes, sondern auch
nur aus Dessoirs Zitat (S. 311) geschöpft, so wäre schon auf einen Ausdruck meiner
eigenen Abneigung gegen »die Fehlgeburten der Analogiensucht« gestoßen. Niemand
hat entschiedener als ich darauf bestanden, daß wir in der Ästhetik der bildenden
Künste die Gesichtspunkte zunächst nur der Kunst selber entlehnen sollten. Aber
an einer Stelle, wo es darauf ankam, mich in aller Kürze mit Lesern zu verständigen,
die nicht Kunsthistoriker sind wie ich, habe ich den Vergleich mit den Komple-
mentärfarben herbeigezogen, doch wohlweislich nur als Gleichnis, als Simile aus
der Natur, um erst einmal eine bekannte Vorstellung zu erwecken. Und dies päda-
gogische Mittel reut mich noch heute nicht; denn es hat zwei große Vorzüge: der
Vergleich mit den elementaren Farben bleibt frei von allen konkreten Beziehungen
menschlicher Dinge, die uns so leicht beirren und an der Erfassung der einfachen
Ursprungserscheinungen hindern, anderseits aber enthält der Hinweis auf die Natur-
gesetzlichkeit dieses Komplementärverhältnisses auch eine ähnliche Voraussetzung
für die Organisation des Menschen, aus deren innerer Anlage mir die komplemen-
täre Natur dieser seiner Künste zu fließen scheint. Ich kann E. Meumann nur
bitten, im Eifer seiner Jagd auf weithergeholte Analogien und seiner durchaus be-
rechtigten Verfolgung jenes alten von ihm häufig gerügten Fehlers, doch bei mir
nicht zu vergessen, daß er es mit einem Kunstforscher zu tun hat, der die Geschichte
der verschiedenen Künste zu umspannen und das Wesen ihrer Entwickelung zu
durchdringen versucht, fest überzeugt, daß die »Heterogonie der Zwecke«, die nach
Ursachen auf allen anderen Gebieten, Kultur, politischer Geschichte, Mythus und
Gesittung, eher sucht als auf dem eigenen Grund und Boden der Kunst, zunächst
kein Heil für die Erkenntnis des eigensten Wesens selber bringen kann. Daß ich
aus dem Spiel mit dem Bilde des Regenbogens und ein bißchen populärer Physik
dazu gekommen sei, von Paaren komplementärer Künste zu reden, wird niemand
sagen können, der meine kurzen Andeutungen darüber wirklich gelesen hat. Wohl
aber glaube ich an eine ähnliche Notwendigkeit des psychischen Geschehens in der
Entwickelungsgeschichte des künstlerischen Schaffens wie bei der Entstehung .der
Ergänzungsfarbe auf Grund des menschlichen Sehorgans. Und damit gewinnt die
Beobachtung des Gesetzes, das ich in der Kunstgeschichte eben jetzt eifrig verfolge,
nach meiner fachmännischen Erfahrung eine außerordentliche Bedeutsamkeit, die
andere Versuche, die Genesis und den Periodenwandel zu erklären, weit überholt,
weil sie psychologisch ist und das Wesen der Kunst fest im Auge behält.
Leipzig.

A. Schmarsow.

Eine Erwiderung des Herrn E. Meumann, die wegen Mangels an Raum in
dieses Heft nicht mehr aufgenommen werden konnte, wird im nächsten Heft er-
scheinen.

Der Herausgeber.
 
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