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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Buechler, Karl: Die ästhetische Bedeutung der Spannung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0220
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KARL BÜCHLER.

elementaren, dreigegliederten Bewegung darstellen. Das erste Moment
der Gliederung ist »der Ausgangspunkt, ...oder die Basis; das zweite
die Spannung, oder, sofern diese in der Höhenlage der Stimme zum
Ausdruck kommt, die Höhe; das dritte die Lösung, die Rückkehr zur
Ruhelage« (S. 330ff. 337, 368). Dabei gelangt das innere Wesen der
Einheit umsomehr zum vollen Ausdruck, »je mehr in der mittleren
Betonung ein Moment der Spannung liegt« (S. 338), und die Bewegung
wird dadurch »zum kraftvolleren Tun« (S. 333). Denn »alle Tätigkeit
oder alles Tun vollzieht sich im Wechselspiel der Tätigkeiten und
Gegentätigkeiten oder Gegentendenzen, in der Spannung zwischen
beiden« (S. 316). Hier muß dann Lipps, wie bereits gesagt, verschiedene
Arten von Spannung unterscheiden, eine rein dynamische Anspannung
der Auffassungstätigkeit, die jederzeit stattfindet, dann eine besonders
hervorhebende, und eine mehr qualitative der Unbefriedigtheit oder des
Gegensatzes (S. 323). Die beiden ersteren nennt er mit einiger Ver-
schiebung des Sinnes auch absolutes und relatives Streben bezw.
Spannung (S. 345). Die gegensätzliche Spannung findet er jeweils in-
direkt gegeben, indem jede positive Aussage sich in stillschweigender
Spannung zu ihrer Verneinung befindet (S. 344). Für die weitere
Ausführung muß ich auf Lipps selber verweisen; nur die Verwendung
von Spannung und Lösung im Rhythmus ist hier noch anzuführen. Er
besteht nun nicht bloß in der »Folge von Spannung und Entspannung,
sondern diese ist nur die eine Seite der Sache. Die andere Seite ist
die Zusammenfassung von Elementen der Reihe zu gleichartigen Ein-
heiten« (S. 298). »Zugleich kann doch das Wesen des Rhythmus nicht
im einfachen Dasein einer solchen Spannung bestehen. Sondern es
muß ein freies Sichausleben sein in solchem Gegensatz oder solcher
Spannung, und durch sie hindurch. Es muß sich darstellen als ein
Wechsel der Spannung und Lösung, und der erneuten Spannung und
Lösung, und als ein Sichausleben in diesem Wechsel« (S. 316). Dies
Erklärungsprinzip ist dann auch für die Gestaltung der Verse im
Ganzen anzuwenden *). Nicht allein das Versschema, sondern auch die
Anordnung der Vorstellungen löst sich aus psychischen Spannungen
heraus und verwirklicht sich in dem Aufbau des Gedichtes. Man kann
nicht genug protestieren gegen die oberflächliche Gleichsetzung von
Versrhythmen; desgleichen gegen die Meinung, als wäre das Metrum
etwas äußerlich dem Wortlaut Hinzugefügtes, und nicht vielmehr ein
natürliches Herauswachsen. Als Beispiel analysiert Lipps das Gedicht
»Es war ein König in Thule«. »In dem ,es' beginnt nicht erst die

l) Beispiele bei Th. Lipps, Ästhetik I, S. 385 ff. und Wundt, Phys. Psych. III,
S. 163 ff.
 
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