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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0293
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BESPRECHUNGEN.

289

Es liegt hier also ein »entwickelungsgeschichtlicher« Versuch zur Erklärung des
Schönen vor, der, wie die meisten der anderen derartigen Versuche, zwei wichtige
Probleme miteinander verwechselt: nämlich die Analyse des ästhetischen Erlebens
und den Nachweis seiner Entstehung. Wenn wir nach Gesetzen des Werdens
forschen, muß uns das bekannt sein, dessen Werden wir erforschen wollen, sonst
leidet die Reinheit der Problemstellung, und wir laufen Gefahr, alles Mögliche zu
vermengen. Hier kommt es auf die Erklärung des Schönen an. Woher weiß ich
denn überhaupt, daß es Schönes gibt? Sicherlich nur dadurch, daß in mir ganz
bestimmte Erlebnisse gesetzt sind, denen in Wahrheit ästhetischer Wert zukommt;
und weiterhin nennen wir dann — in übertragener Weise — auch die vermeintlichen
Ursachen dieser Erlebnisse »ästhetisch wertvoll« beziehungsweise schon, erhaben,
komjsch u. s. w. AH diese Termini bekommen aber nur ihren Sinn durch die Be-
ziehung auf das Erlebte. Klären können wir sie also lediglich mittels psycho-
logischer Analyse1). Sie hätte demnach jeder entwickelungsgeschichtlichen Betrachtung
voranzugehen, denn sonst kommen wir in die arge Lage, nach genetischen Gesetzen
für etwas zu suchen, das uns unbekannt ist. Wohin dies führt, zeigt deutlich das
vorliegende Buch. Der Verfasser ist sich über die Eigenart des Ästhetischen nicht
War und verwechselt es daher ständig, bald mit der Freude an irgend einer prak-
tischen Bedürfnisbefriedigung, bald mit der Lust an der Erkenntnis der Zweckmäßig-
feit u. s. w. Was letztere anlangt, so geht sie als solche den Ästhetiker nichts an,
lhn kümmert vor allem die Erscheinung der Zweckmäßigkeit. Mag etwas noch
so zweckmäßig sein, so wirkt es doch, wenn es nicht zweckmäßig erscheint, durch-
aus nicht ästhetisch; anderseits kann manches zweckmäßig erscheinen, ohne zweck-
mäßig zu sejn ^Vg|_ meme Abhandlung: »Zweckmäßigkeit und Schönheit«, Philosoph.
Wochenschr. IX, S. 49—61). Aber jedenfalls ist es ganz unmöglich, alles ästhe-
tische Erleben auf die Lust an der Vorstellung der Zweckmäßigkeit — unser Ver-
fasser glaubt gar auf wirkliche Zweckmäßigkeit — zurückzuführen: die sogenannten
asthetischen Elementargefühle haben doch sicherlich damit nichts zu tun. Mag

erner — was ich aber auch bestreite — aus der Zweckmäßigkeit die Kunst er-
wachsen sein, so folgt doch noch daraus keine Wesensverwandtschaft. Das Ver-
zügen an ersterer ist bedingt durch eine Erkenntnis, das an letzterer durch eine

orstellungstätigkeit. Das Vergnügen an der Vorstellung der Zweckmäßigkeit, des

auberen, Geordneten u. s. w. ist ein ästhetisches zu nennen; doch alle diese Unter-

. "eidungen hat Eisler gar nicht beachtet. Einen Einwand kann er freilich erheben:

manches Ästhetische aus Zweckmäßigem entstanden, wie kann es da etwas

oeres sein? Ich will lediglich dagegen ein Beispiel anführen: zur Verständigung

weitere Strecken bedient man sich besser des gesungenen Wortes als des ge-

Prochenen. ®tT praktische Zweck ist die genauere Verständigung. Aber nicht an

re Erkenntnis knüpft der ästhetische Genuß, sondern an den unmittelbaren Wohl-

ng des gesungenen Wortes u. s. w., so daß man später sich des gleichen Mittels

lenen kann lediglich zur Erweckung des ästhetischen Genusses, der aber dann

t seine Entstehung auf die Erkenntnis der Zweckmäßigkeit zurückleitet, sondern

.. ^twas, das mit der Erkenntnis der Zweckmäßigkeit zusammen gegeben war:

amiich die lustbetonte Vorstellung.

So bedeutet also diese Grundlegung sicherlich keinen Fortschritt. Sympathisch
das Buch durch den großen sittlichen Ernst, mit dem es geschrieben ist. Wir

) Man werfe mir aber nicht deswegen »Psychologismus« vor, denn ich bin
Seh dav.on enrfernt, die Ästhetik etwa als einen Teil der Psychologie zu betrachten,
on die Tatsache, daß sie normativ ist, führt über die Psychologie hinaus.

e'tschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. III. 19
 
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