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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Meyer, Richard M.: Der Begriff der Einheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0334
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RICHARD M. MEYER.

als die anderen einfachen Zahlen: man hob eben ursprünglich die
Zahl nur hervor, wo es wirklich auf Zählung ankam. Wenn einer
beim Brautkauf sechs Ochsen zahlen sollte (»zahlen« und »zählen«!),
so mußte wohl die Sechszahl ausgesprochen werden; wenn ein Stier
gefallen war, genügte es zu sagen: »Stier ist gefallen«. Zweitens ist
auch der sogenannte »unbestimmte Artikel« eine Erfindung zwar fast
aller Sprachen unseres Sprachstammes, aber doch nicht aller, und eine
späte: wo man ausdrücken wollte, daß »ein beliebiger Sklave« eine
Botschaft bringen sollte, kam es eben auch zunächst nur auf den
Überbringer der Botschaft an und nicht auf sein Einordnen in eine
mehrere Exemplare bergende Kategorie. — Die ausdrückliche oder un-
betonte Nennung der Einzahl ist also erst allmählich entstanden: bei
der Zählung aus dem »Systemzwang«, aus dem ästhetischen Bedürfnis,
die Zahlenreihe zu vervollständigen; bei der Nennung aus dem Gegen-
sätze zur bestimmten Zahl, die den »bestimmten Artikel« erzeugt: »ein
Sklave« ist »ein beliebiger«, »der Sklave« gerade dieser Knecht.

Aber immerhin schwebte der arithmetische Begriff doch längst
dunkel oder auch klar vor, da er einen eigenen Ausdruck fand: dafür
zeugt wieder die Sprache mit ihrer Unterscheidung von Singular und
Plural. Die Einzahl wurde eben von allen anderen Zahlen abgehoben.
(Auch der Dual bedeutet eigentlich »ein Paar«, also eine Einheit: die
beiden Augen, Ohren, Hände, Füße oder auch — später! — die Eltern
werden als eine zweiteilige Einheit aufgefaßt.) Ganz anders aber steht
es mit jenem Begriff der »ideellen Einheit«.

Was bedeutet er? Nun, eben: eine ideelle Einheit, d. h. eine
solche, die eigentlich keine ist, sondern die wir nur begrifflich dazu
machen. Und wieder hilft uns die Sprache, die Entstehung dieses
Begriffes — den wir noch näher betrachten müssen — zu verstehen.

Wir haben schon in sehr frühen Sprachschichten — wenn auch
gewiß nicht in den ältesten — zweierlei solche »ideelle Einheiten« in
sprachlicher Sonderbenennung. Die eine entsteht aus der Zählung
selbst. Indem ich mehrere Exemplare einer Art mit einem Wort be-
nenne, stelle ich eine künstliche Einheit her. »Drei Schafe« sind eine
Dreiheit, zusammengefaßt gegen die ganze übrige Herde. »Ich habe
drei Söhne«: es ist eine Größe gebildet, die für sich dasteht. — Man
denke ja nicht, daß das absolut unvermeidlich ist. Denn das älteste
Zählen, wie wir es bei allen primitiven Völkern treffen und bei allen
kultivierten aus den Namen von Maßen und dergleichen erschließen
können, stellt keineswegs solche Einheiten her. Hebe ich drei Finger
auf, so wird damit nur gezählt, d. h. das Aufgreifen von drei Exem-
plaren symbolisch angedeutet; aber ein Zusammenfassen fehlt. Es ist,
als schöpfe ich mit der hohlen Hand aus dem Fluß; ich nehme etwas
 
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