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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Utitz, Emil: Kritische Vorbemerkungen zu einer ästhetischen Farbenlehre
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0346
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338

EMIL UTITZ.

daß Millionen anderer diese Vorstellungen erleben; und ebensowenig
würde es uns oder unseren Künstlern helfen, wenn Tiere, Kinder und
Naturmenschen solche eigentümliche Farbengefühle — wie wir der
Kürze halber sagen — erlebten und wir nicht. Also nur unsere
eigenen Erlebnisse können den Ausgangspunkt bilden; erst auf Grund
ihrer Kenntnis können wir die Erlebnisse anderer erschließen. Zweitens
steht ja durchaus nicht fest, ob Tiere, Kinder und Naturmenschen
Farben ästhetisch genießen oder ob es sich da um einen rein sinn-
lichen Affekt handelt, verwandt dem bei Geschmacks- oder Tempe-
raturempfindungen. Ja, es ist überhaupt fraglich, ob und inwieweit
diese Individuen ästhetisch zu genießen fähig sind. Es wären also
sehr schwankende Grundlagen, auf denen wir hier bauen würden.
Damit sollen nicht alle Ergebnisse dieser Forschungen abgelehnt
werden, wir können sie — besonders die der Kinder- und Völker-
psychologie — sehr wohl brauchen, und sie werden uns auch von
Nutzen sein, aber nur als einzelne Bausteine, nicht als Grundlage
unseres GebäudesJ).

Wenn ich im vorhergehenden ganz allgemein meinen Standpunkt
gekennzeichnet habe, so sei es mir nun gestattet, ein wenig ins Detail
zu gehen, um auf die verschiedenen Hindernisse aufmerksam zu
machen, die sich bei der Lösung dieser Fragen dem Forscher ent-
gegenstellen, und um zugleich auf verschiedene Ergebnisse hinzu-
weisen, die mir so weit gesichert erscheinen, daß sie für systematische
Untersuchungen wertvoll und nutzbringend werden können.

Wenn wir uns zuerst dem Farbensinn der Tiere zuwenden, so er-
hebt sich gleich die schwerwiegende Frage, wie weit wir überhaupt
mit seiner Zuerkennung herabsteigen dürfen. Liegen ja doch — in
größerer Anzahl2) — Untersuchungen über den Lichtsinn augenloser
und geblendeter Tiere vor. So bewegt sich z. B. der sogenannte
»lichtmessende Stabpilz« (bacterium photometricum) nur bei Licht-
einwirkung; bei plötzlicher Verdunkelung erfolgt eine Schreckbewe-
gung. Durch das äußerste Rot und das Gelb des Spektrums werden
diese Bakterien angezogen und scharen sich dort dicht gedrängt zu-
sammen (nach Wasmann a. a. O. und Gutberiet a. a. O.). Der Amphi-
oxus flieht schleunigst vor hellem Licht; und zwar ist bei ihm nicht
nur der Kopf, sondern die ganze Körperoberfläche lichtempfindlich
(nach Nagel a. a. O.). Ähnliche Resultate lieferten Versuche mit Regen-
würmern, die nach Grabers Ansicht (a. a. O.) auch auf qualitative
Lichtdifferenzen reagieren. Wassermolche (Triton cristatus) waren
auch noch im geblendeten Zustand gegen größere Helligkeitsdiffe-
renzen empfindlich, ebenso Salamander u. s. w. Diese und ähnliche
Versuche führten Graber zu folgendem Schluß: »Gewisse augenlose,


 
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