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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Hilpert, Constantin: Eine stilpsychologische Untersuchung an Hugo von Hofmannsthal
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0370
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CONSTANTIN HILPERT.

dingtes oder gar Geschaffenes oder ein Mitgeborenes sieht. Haften
bleibt aber von allem Aufgenommenen nur das, was Gefühle erregt
hat. Und zwar tritt dies um so leichter, also auch — relativ zu den
Möglichkeiten — um so häufiger wieder ins Bewußtsein, je stärker
die erregten Gefühle sind. Zeigt sich also schon die Eigenart des
Individuums darin, was es für Eindrücke aufzunehmen und wiederzu-
geben vermag, so noch mehr bei dem Gradverhältnis der einzelnen
Eindrücke und der durch sie erregten Gefühle, also in dem verschiede-
nen Häufigkeitsgrad, mit dem sie in den seelischen und geistigen
Prozessen des einzelnen wiederkehren. Eine solche Wiederkehr, ein
solches Auftauchen irgend welcher früheren Wahrnehmungen und Er-
lebnisse ist auch die dichterische Produktion zum größten Teil, wenn
wir, das eigentlich Künstlerische zersetzend, bis zu den letzten Be-
standteilen analysieren. Sinn hat solche Auflösung des Organischen
natürlich nur insofern, als sie das durchgehende Vorhandensein ein-
zelner Elemente erkennen läßt und deren Wertigkeit: die Art der Auf-
nahme und der zu Grunde liegenden Gefühlsveranlagung. Denn
eigentlich treten nie einzelne Wahrnehmungen oder Vorstellungen in
das Bewußtsein, sondern stets ganze Komplexe, deren Einzelheiten
untereinander und zu dem ganzen Bewußtseinsinhalt, dem vorher-
gehenden und folgenden, wieder in allgemein und individuell gesetz-
mäßigen Beziehungen stehen, Beziehungen, die durch Begriffliches,
Vorstellungsmäßiges und Gefühlsmäßiges in- und durcheinander ge-
geben sind und durch das Vorherrschen des einen oder anderen und
einzelner Unterarten des einen oder anderen ihr Besonderes empfangen.
Das Ganze in stetem, mehr oder weniger schnellem Fluß.

Diese inneren Vorgänge, die schon immer zum Teil, besonders bei
begrifflichen Operationen, von Wortvorstellungen begleitet sind, drängen
beim Künstler, wenn es sich um Konzeptionen handelt, mit ganz be-
sonderer Energie zum Ausdruck, beim Dichter zum Ausdruck durch
die Sprache. Das heißt, nicht so als ob die sprachliche Form etwas
Äußerlich-Entsprechendes für das innere Erlebnis sei, nicht so als ob
diese beiden überhaupt irgendwie zu trennen wären. Sondern die
Form ist durchaus die Projektion des inneren Vorgangs, noch mehr:
jedes Wort fast ist eine solche Projektion, jedes Wort fast hat seinen
Vorstellungs- oder Begriffs-, seinen Gefühls- und seinen Knüpf ungs-
wert, und mit dieser Kompliziertheit ist es Bestandteil des Bewußt-
seinskomplexes, den es ausdrückt, wird von ihm bestimmt und be-
stimmt ihn wiederum. Ein jeder wird schon diese Übereinstimmung
erlebt haben, wenn er, nach einem Worte suchend, ein selbst gefunde-
nes oder ein von einem anderen gegebenes ganz plötzlich, instinkt-
mäßig, gefühlsmäßig als das richtige aufgriff. Beim Dichter ist das
 
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