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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Hilpert, Constantin: Eine stilpsychologische Untersuchung an Hugo von Hofmannsthal
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0401
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EINE STILPSYCHOLOGISCHE UNTERSUCHUNG.

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tümlich ist, in der Form eines Spasmas: Novalis hat seine Konzeption
von dem hinter der Freude am Nackten schlummernden Appetit nach
Menschenfleisch, d'Annunzio hat seine Orgien des Ekelhaften und
Brutalen, des Blutgefühls besonders, Oskar Wilde hat seine Salome
und Hofmannsthal seine Elektra.

Immer mehr hat er sich in die Zeit und die Zeit in sich hinein-
gefühlt, immer mehr dadurch auf die Zeit gewirkt und die Wirkung
erkannt, und schließlich schlingt die Wechselwirkung von Leben und
*ch, Kunst und Ich, Schaffen und Ich und Wirken und Ich einen un-
auflöslichen Reihen, und er kommt zu den grundsätzlichen Worten
vom Dichter:

Wer aber in sich irgend eine Form der Wirkung auf die Welt als die von An-
age und Schicksal begünstigte erkannt hat, dem ist gleichsam der Gebrauch eines
•nneren Organes erschlossen, und er fühlt sich gedrängt, die erreichbare Wirkung
m't wiederholter Anspannung, mit gesteigerter Sicherheit, allmählich mit Routine
herbeizuführen. (Victor Hugo.)

Hofmannsthal hat die Routine erreicht. Vieles was einst ursprüng-
lich war ist ihm zum Stilmittel geworden, zur »Formel«, die immer
Wiederkehrt. Es führt ein sekundäres Leben wie all das Anempfundene:
uas leichte Gedenken des Todes z. B., das ihm ja doch nie das sein
kann, was es etwa Novalis gewesen ist, oder die Vorliebe für Mario-
netten, die bei ihm doch rein ästhetisch ist und nicht symbolisch wie
bei Maeterlinck. Aber indem er die Stärke auch der ursprünglichen
Gefühle aufgegeben hat, hat er eine meisterliche Beherrschung seiner
^tilmittel gewonnen, ein unendlich differenziertes Gefühl für die feinen
und feinsten Reize, eine glänzende Vollendung der Ausdrucksfähigkeit
und eine herrliche Kultur der Form.

In dem Urteil des Kulturkritikers mag das fehlen, was Hofmanns-
nal sucht: »ein Ton des Zutrauens und der freien ungekünstelten
"•■furcht, eine Betonung dessen, was Männer an Männern am höchsten
stellen müssen: Führerschaft« J).

Dankbar anerkennen aber müssen wir seine Führerschaft in dem,
was er für unsere Sprache geleistet hat, anerkennen, daß er die Kultur,
die Nietzsche für den philosophischen Stil ausgebildet hat, auch auf
den poetischen Stil übertragen hat, und daß er uns im Drama durch
seinen unendlich schmiegsamen nervösen Rhythmus die Möglichkeit
*u einem neuen Pathos, zu einem Pathos unserer Zeit gegeben hat.
Das ist seine Bedeutung für die Zukunft.

') Der Dichter und diese Zeit.
 
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