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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Richter, Raoul: Richard Dehmels "Zwei Menschen" als Epos des modernen Pantheismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0416
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RAOUL RICHTER.

Und so wird überall in die neue moralische Gesetzlichkeit, in die
Lebenswirklichkeit, ja selbst, wo es angeht, in die Pfade der Sitte ein-
gelenkt. Die Archivpapiere werden zurückgegeben, die Scheidung
der Frau von ihrem Manne erreicht, das Töchterchen des Mannes zur
Erziehung zurückgeholt:

Lukas — wir müssen nun wohl streben
dem kommenden Geschlecht zu leben,

ein Stück Land zur Kolonisierung für freie Männer erworben, als
Sinnbild sozialer Betätigung, die einsamen Inseln der Seligkeit auf
immer verlassen:

Willst du den kommenden Geschlechtern lehren,
Man brauche Inseln, um selig zu sein?

Da steht dem Manne wegen früherer anarchistischer Umtriebe die
Festnahme bevor. Rechtzeitig gewarnt, geht er freiwillig in die Ver-
bannung; für sich, die Familie, die Welt zu schaffen, und die Seinen
nach der bevorstehenden Geburt ihres ersten gemeinsamen Kindes zu
sich herüber zu holen. Und dieses Kind, käme auch es blind zur
Welt, wird nicht getötet werden:

Und jetzt auf einmal fühl ich's mit Beben:
deines Schoßes Frucht ist der Allmacht von Nöten!
Und käme auch dieses Kind blind ins Leben
und du hast nicht wieder die Kraft, es zu töten,
dann will ich glauben, du hast die höhere Kraft,
die Licht aus tiefstem Dunkel schafft!

Nicht trotzig, nicht feig, sondern mutig — ergeben geht er hinweg:

Nun heißt es, stolz an neue Arbeit gehn,
Damit wir vor dem Gott in uns bestehn!
Aus seinen Augen weicht aller Spott.
Zwei Menschen beugen sich vor Gott.

Und er hat auch die Kraft, dem zurückbleibenden Weib durch den
Glauben an sich, an die Gottwelt, an ihr gemeinsames Bekenntnis,
der Hingabe an das Weltglück, Trost, Zuversicht und Selbstvertrauen
zu hinterlassen.

Wir verstehen die tiefsinnigen Worte des »Ausgangs«:

Leb wohl, leb wohl — du hältst dich selbst in Händen.
Du sahst, o Mensch, zwei Wesen deinesgleichen
im kleinsten Kreis Unendliches erreichen.
Du sahst Dein Glück ins Weltglück enden.
 
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