BESPRECHUNGEN. 465
Dem Verfasser lag daran, eine Reihe markanter Persönlichkeiten vorzuführen,
die im verflossenen Jahrhundert für die Leibesübungen literarisch eingetreten sind
oder sie sonstwie gefördert haben. Ihren eigenen Worten läßt er Mitteilungen er-
klärender biographischer oder anekdotischer Art voraufgehen. Er beginnt mit
Schiller und Goethe, führt von Jean Paul zu Gutsmuths, Jahn, Arndt, läßt Diester-
weg, Roßmäßler, Spieß, F. Th. Vischer, F. A. Lange folgen, leitet also, trotz des
weitgreifenden Titels, in die Schmalstraße reiner Turngeschichte, denn auch Diester-
weg und Vischer erscheinen hier nur als Turnfreunde. Eingestandenermaßen will
er auch nur ein ergänzendes Lesebuch zur Turngeschichte bieten. Dann wäre aber
mit den beiden Dichtergrößen eine allzu breite Ausladung gegeben. Gewiß — um
gewöhnlich zu reden — haben Schiller und Goethe den Boden mitbereitet, aus
welchem die Wünsche nach einer besseren körperlichen Erziehung emporwuchsen,
aber einen unmittelbaren Einfluß darauf hatten sie nicht. Schillers Schönheitsideal
sollte aus innerlichen Gluten erstehen und auch Goethe hatte, trotz eigener körper-
licher Betätigung, keinen Anteil an den Bestrebungen zu Gunsten der Leibesübungen.
Zum mindesten mußte der Verfasser die Verbindung mit den Jahn und Gutsmuths
durch Zwischenglieder herstellen — der einflußlose Jean Paul kann dafür nicht
angesehen werden — oder eine geschichtliche Überleitung schaffen. In der Möller-
schen Darbietung nehmen sich die einzelnen Stücke wie eine Reihe aus der Ebene
aufragender Felskegel aus, zu deren Spitze man unvermittelt emporgehoben wird,
Urn nach flüchtigem und unbefriedigendem Umblick rasch abzugleiten. Eine längere
Ruhe und Einsicht gewährt nur die Darstellung der Spießschen Bestrebungen, also
des Mannes, der die frische und lebendige Turnlehre Jahns am gründlichsten in
die eiserne Jungfrau ödester Systematik gezwängt hat, wo sie, sonderlich in An-
sehung der Schule, heute noch Qualen erduldet. Eine kurze Turngeschichte, aus
deren Grunde sich die bevorzugten Charakteristiken heraushöben, hätte die ver-
mißte Verbindung und das Verständnis herbeiführen, zu ihren Raumgunsten hätten
Jean Paul und Roßmäßler fortfallen können. Eine solche Anordnung entspräche
auch vollkommener dem Programm der Teubnerschen Sammlung, das eine Einfüh-
rung in die behandelten Wissensgebiete ermöglichen will. Die vorliegende Form
läßt ungeachtet der sorgfältigen Zitatenauslese und der wechselreichen Einleitungen
e'ne rechte Lesefreude nicht aufkommen.
Anmutend an dem Buche wirkt des Verfassers helle Begeisterung für seine
Auserwählten. Ungerechtfertigt lebhaft zeigt er sich im Vorworte: »Nicht erden-
remd und lebensscheu, nein, im Gegenteil lebensfreudig und bodenständig und
abei von demütiger Einsicht, die exakte irdische Arbeit der neuen Generation ver-
send, will das Buch doch einem engen Materialismus oder Naturalismus bewußt
ausweichen«.
Möller wäre in seiner Warmherzigkeit und seinem Edeleifer vielleicht der Mann,
Uns das zeitgerechte aber umfängliche Werk zu bescheren, das, mit der Mitte des
8- Jahrhunderts beginnend, den Einflüssen nachspürt, die die an eine Leibes-
erstarkung geknüpften Hoffnungen in Deutschland erregt und genährt haben — Aus-
and, Zeitereignisse, Kunst, Wissenschaft —, das die erzieherischen, vaterländischen,
hygienischen Absichten und ihre Ausführung zeigt, um schließlich, als Ergebnis
eines Jahrhunderts, die erreichten Vorteile aus bisher geübter Leibeszucht fest-
zustellen. Diesem Werke, das sich allerdings nicht nur um die Turnkunst bemühen
durfte, würde der Titel >Deutsches Ringen nach Kraft und Schönheit« gut zu Ge-
sichte stehen.
Berlin-Tempelhof. Emil Schleusner.
Dem Verfasser lag daran, eine Reihe markanter Persönlichkeiten vorzuführen,
die im verflossenen Jahrhundert für die Leibesübungen literarisch eingetreten sind
oder sie sonstwie gefördert haben. Ihren eigenen Worten läßt er Mitteilungen er-
klärender biographischer oder anekdotischer Art voraufgehen. Er beginnt mit
Schiller und Goethe, führt von Jean Paul zu Gutsmuths, Jahn, Arndt, läßt Diester-
weg, Roßmäßler, Spieß, F. Th. Vischer, F. A. Lange folgen, leitet also, trotz des
weitgreifenden Titels, in die Schmalstraße reiner Turngeschichte, denn auch Diester-
weg und Vischer erscheinen hier nur als Turnfreunde. Eingestandenermaßen will
er auch nur ein ergänzendes Lesebuch zur Turngeschichte bieten. Dann wäre aber
mit den beiden Dichtergrößen eine allzu breite Ausladung gegeben. Gewiß — um
gewöhnlich zu reden — haben Schiller und Goethe den Boden mitbereitet, aus
welchem die Wünsche nach einer besseren körperlichen Erziehung emporwuchsen,
aber einen unmittelbaren Einfluß darauf hatten sie nicht. Schillers Schönheitsideal
sollte aus innerlichen Gluten erstehen und auch Goethe hatte, trotz eigener körper-
licher Betätigung, keinen Anteil an den Bestrebungen zu Gunsten der Leibesübungen.
Zum mindesten mußte der Verfasser die Verbindung mit den Jahn und Gutsmuths
durch Zwischenglieder herstellen — der einflußlose Jean Paul kann dafür nicht
angesehen werden — oder eine geschichtliche Überleitung schaffen. In der Möller-
schen Darbietung nehmen sich die einzelnen Stücke wie eine Reihe aus der Ebene
aufragender Felskegel aus, zu deren Spitze man unvermittelt emporgehoben wird,
Urn nach flüchtigem und unbefriedigendem Umblick rasch abzugleiten. Eine längere
Ruhe und Einsicht gewährt nur die Darstellung der Spießschen Bestrebungen, also
des Mannes, der die frische und lebendige Turnlehre Jahns am gründlichsten in
die eiserne Jungfrau ödester Systematik gezwängt hat, wo sie, sonderlich in An-
sehung der Schule, heute noch Qualen erduldet. Eine kurze Turngeschichte, aus
deren Grunde sich die bevorzugten Charakteristiken heraushöben, hätte die ver-
mißte Verbindung und das Verständnis herbeiführen, zu ihren Raumgunsten hätten
Jean Paul und Roßmäßler fortfallen können. Eine solche Anordnung entspräche
auch vollkommener dem Programm der Teubnerschen Sammlung, das eine Einfüh-
rung in die behandelten Wissensgebiete ermöglichen will. Die vorliegende Form
läßt ungeachtet der sorgfältigen Zitatenauslese und der wechselreichen Einleitungen
e'ne rechte Lesefreude nicht aufkommen.
Anmutend an dem Buche wirkt des Verfassers helle Begeisterung für seine
Auserwählten. Ungerechtfertigt lebhaft zeigt er sich im Vorworte: »Nicht erden-
remd und lebensscheu, nein, im Gegenteil lebensfreudig und bodenständig und
abei von demütiger Einsicht, die exakte irdische Arbeit der neuen Generation ver-
send, will das Buch doch einem engen Materialismus oder Naturalismus bewußt
ausweichen«.
Möller wäre in seiner Warmherzigkeit und seinem Edeleifer vielleicht der Mann,
Uns das zeitgerechte aber umfängliche Werk zu bescheren, das, mit der Mitte des
8- Jahrhunderts beginnend, den Einflüssen nachspürt, die die an eine Leibes-
erstarkung geknüpften Hoffnungen in Deutschland erregt und genährt haben — Aus-
and, Zeitereignisse, Kunst, Wissenschaft —, das die erzieherischen, vaterländischen,
hygienischen Absichten und ihre Ausführung zeigt, um schließlich, als Ergebnis
eines Jahrhunderts, die erreichten Vorteile aus bisher geübter Leibeszucht fest-
zustellen. Diesem Werke, das sich allerdings nicht nur um die Turnkunst bemühen
durfte, würde der Titel >Deutsches Ringen nach Kraft und Schönheit« gut zu Ge-
sichte stehen.
Berlin-Tempelhof. Emil Schleusner.