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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0476
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468

BESPRECHUNGEN.

Sammelwerkes entspricht, scheint mir fraglich. Auf den Inhalt des Artikels gehe
ich nicht ein, da ich in der »Deutschen Literatur-Zeitung« eine ausführliche Be-
urteilung dieser ganzen Ästhetik zu veröffentlichen gedenke. Aus einem anderen
Grunde schweige ich von den die Kunst »erläuternden« Bemerkungen, die in der
Abhandlung über Psychologie stehen: sie sind meines Erachtens völlig belanglos.
Noch an einer dritten Stelle ist von Kunst die Rede, nämlich in Wilhelm Diltheys
Abhandlung: »Das Wesen der Philosophie«. Die Studie leidet nicht so stark an
Strukturlosigkeit wie diese oder jene ältere systematische Untersuchung des Ver-
fassers: der Zwang der Kürze, der Druck äußerer technischer Vorschriften (Ein-
teilungen, Randnoten) haben entschieden günstig eingewirkt. Die einzelnen Ab-
schnitte sind, für sich betrachtet, schön und lehrreich; man fühlt hinter jedem eine
lange Gedankenarbeit; man gewinnt von jedem einen wertvollen Ausblick. Aber
die Überlegung schreitet nicht entschieden genug vorwärts, sie beginnt immer
wieder von neuem und sinkt stets in dieselbe Tiefe hinab. Es mangelt dem Ganzen,
wie mich dünkt, Plastik und zwingende Steigerung.

Immerhin ist ein zusammenfassender Gesichtspunkt bemerkbar, der aus der
Vergleichung von Kunst — namentlich Dichtung — mit Philosophie und Religion
sich ergibt. Die Gemeinsamkeit dieser drei Sphären ruht nach Dilthey letzten Endes
darin, »daß die Einspannung des Willens in begrenzte Zwecke hier aufgehoben
ist«. Am freiesten aber waltet die Dichtung. Denn indem sie ein Geschehnis hin-
stellt, das in seiner Bedeutsamkeit erfaßt wird, verbleibt sie »in der Region von
Gefühl und Anschauung, da sie nicht nur jede begrenzte Zweckbestimmung, son-
dern das willentliche Verhalten selbst von sich ausschließt«. Die Kunst ist ein
Spiel mit Stimmungen und Gestalten, in denen dennoch die Bedeutung des Lebens
sichtbar wird. Des Menschen Verhältnis zur Welt, zum eigenen und fremden
Dasein zeigt mancherlei Grade und Weisen; »der Religiöse, der Künstler, der Philo-
soph unterscheiden sich nun dadurch von den Dutzendmenschen, ja auch von
Genies anderer Art, daß sie solche Lebensmomente festhalten in der Erinnerung,
ihren Gehalt zum Bewußtsein erheben und die Einzelerfahrungen zu allgemeiner
Erfahrung über das Leben selber verbinden«. — Was Dilthey des weiteren (auf
den S. 49—55) von der Lebensanschauung der Dichter sagt, macht noch deutlicher,
inwiefern aus der künstlerischen Vertiefung in den Sinn einzelner Erlebnisse Ideen,
ja Weltanschauungen entstehen können. Es gelingt ihm in der Tat, zwischen der
Scheintheorie und dem Essentialismus einen solchen Zusammenhäng herzustellen,
daß darin der Wert des besonderen künstlerischen Gebildes und seiner sprachlichen
Form bewahrt bleibt. Da außerdem des Verfassers Darlegungen im ganzen eine
Abkehr vom erfahrungsfremden Ästhetisieren bedeuten, so können sie trotz der
oben geäußerten Einwände als eine wirkliche Bereicherung auch unserer Fachlite-
ratur bezeichnet werden.

Berlin. Max Dessoir.

Mit tiefster innerer Bewegung empfange ich die Nachricht, daß der oben ge"
nannte Marinestabsarzt Dr. Stephan am 25. Mai 1908 fern von der Heimat ver-
storben ist. Wir hatten in gemeinsamer Arbeit die ästhetischen und psychologischen
Aufgaben seiner neuen Forschungsreise durchgesprochen, und ich war der zuver-
sichtlichen Hoffnung, daß er wichtige Aufschlüsse heimbringen werde. Seinen
letzten Gruß sandte er mir »mitten aus der Arbeit heraus«. Nun ist er vorzeitig
abberufen worden. Der Verlust für die Wissenschaft ist groß; unersetzlich ist er
für alle, die diese reiche und reine Natur näher kannten. M. D.




 
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