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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Conrad, Waldemar: Der ästhetische Gegenstand, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0478
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WALDEMAR CONRAD.

benen Gedichtes der gesuchte ästhetische Gegenstand sein können.
Denn wir unterscheiden ebenso wie die Symphonie selbst von ihrer
»Aufführung«, so auch das Drama selbst von seiner »Aufführung«,
das Gedicht selbst von seiner »Rezitation« und unterscheiden dies so-
wohl beim Genießen wie beim Werten. Ehe wir aber zur Analyse
eines solchen eigentlichen poetischen Gegenstandes übergehen, müssen
wir das Wesen eines einzelnen Wortes beziehungsweise Ausdruckes
und weiterhin eines (nicht-poetischen) Wortzusammenhanges
»phänomenologisch« zu beschreiben suchen, um nachher das Spezi-
fischpoetische klarer herausarbeiten zu können; und dies um so mehr,
als die Analyse eines solchen sprachlichen Ausdruckes außerordent-
liche Komplikationen mit sich bringt. Eben deshalb aber kommt dieser
»Voruntersuchung« hier auch wesentlich größere Bedeutung zu, als
bei der Musik.

a) Voruntersuchung über den verbalen Ausdruck.

Das einzelne Wort spielt offenbar eine ganz ähnliche Rolle für die
Poesie, wie der Einzelton für die Musik. Es ist der kleinste, als selb-
ständige Einheit in die Augen fallende Teil derselben. Ein einzelnes
Wort kann nie schon selbst und allein ein poetisches Kunstwerk sein,
so wenig wie ein einzelner Ton ein musikalisches Kunstwerk, aber
jenes »besteht aus« Worten, wie die Musik aus Tönen.

Die naive Deskription würde sich beschränken etwa folgender-
maßen zu sagen: Ein Wort ist ein Lautkomplex, an den eine Bedeutung
geknüpft ist. Und wenn sie das Wesen dieser »Bedeutung« näher be-
schreiben will, so würde sie hinweisen auf die mannigfachen Erinne-
rungs- und Phantasiebilder, die bei einem Wort, z. B. »Tisch«, auftauchen,
und eventuell auf die ganze Sphäre der assoziativen Miterregungen,
die sich dabei indirekt aufweisen lassen. Das Wort wäre danach also
ein Geräusch, das in uns eine mehr oder weniger bestimmte Reihe von
Vorstellungen wachruft und erregt. Das Geräusch selbst läßt sich
noch weiter in seine Bestandteile zerlegen, nämlich der »Lautkomplex«,
wie wir es schon nannten, in die einzelnen konstituierenden Laute, aus
denen sich der Komplex zusammensetzt, ähnlich wie die Melodie aus
den Tönen. Und wie dort die Töne, so lassen sich hier diese Laute
in visuellen Zeichen (»Buchstaben«) verbildlichen und wiedergeben.
Diese Möglichkeit der Verbildlichung wird man nun entweder als eine
Folgerung aus obiger Definition, als bloße Begleiterscheinung der das
Wesen konstituierenden Eigenschaften hinstellen oder aber sie auch
gleich in die Wesensdefinition selbst hineinbeziehen, so daß man das
Wort als ein akustisches oder visuelles Zeichen definiert, an das sich
durch Einübung gewisse Vorstellungsreihen knüpfen.




 
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