DER ÄSTHETISCHE GEGENSTAND.
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oder auch in den gemeinten intentionalen Gegenständen. Von diesen
letzten ist es leicht nachzuweisen, z. B. von dem mit dem »Ich« ge-
meinten Müllerburschen, daß sie variieren können. Man kann sich
denselben groß oder klein, ein Jahr älter oder ein Jahr jünger vor-
stellen, der ästhetische Gegenstand, das Gedicht als Ganzes bleibt
deshalb durchaus »dasselbe«. Indes hatten wir korrigierend gesagt,
daß der Müllerbursch, als der mit dem verselbständigten »Ich« gemeinte
Gegenstand, nur »implizite« mitgemeint sei, es wäre also erst zu unter-
suchen, wie oder ob überhaupt ein Gegenstandsganzes von den Än-
derungen seiner implizite mitgemeinten Teile mitbeeinflußt wird. Und
andererseits hat man sich zu hüten, den gemeinten Gegenstand nicht
m't den illustrierenden Vorstellungsbildern zu verwechseln; bei diesen
ls| es noch offensichtlicher, daß sie im weitesten Umfange variieren
können. »Ich schnitt es gern in alle Rinden ein« läßt der Phantasie
unendlich weiten Spielraum: jeder Müllerbursche, jede Art von Messer,
jeder Baum kann dafür als indirektes, »Fülle« gebendes Moment dienen,
ohne daß sich daraus eine ebenso vielfache Vieldeutigkeit des ästhe-
tischen Gegenstandes oder auch nur ein mehr oder minder hoher
Grad der Realisation ergäbe; all diese Variationen sind durchaus irre-
'evant.
Dagegen besitzt der Ausdruck entsprechend seiner fundamentalen
Bedeutung gerade für die Ausdruckspoesie eine äußerst geringe Varia-
u'onsmöglichkeit, und eine noch so kleine Abweichung macht leicht
schon einen wesentlich »anderen« Gegenstand daraus.
Wird nun die Irrelevanzsphäre überschritten, so kann, wie
schon erwähnt, verschiedenes eintreten. Erstens kann die Realisation un-
vollkommen sein, und dabei ist es für uns natürlich völlig gleichgültig,
°b diese Unvollkommenheit von dem Rezitator oder unserem eigenen
Ohr, von unserer Unaufmerksamkeit oder sonst etwas herrührt. Und
diese Unvollkommenheit kann derartig zunehmen, daß man schließlich,
wie bei der Musik, sagen wird, die Wiedergabe genüge nur, um uns
ein »Bild« von dem Gedicht zu machen, oder daß man gar nur von
»andeutender« Wiedergabe spricht. So z. B. wenn ein Autor seine
Gedichte oder sein Drama vorliest, der sich nicht als Rezitator und
Schauspieler fühlt und daher lieber hinsichtlich des Ausdruckes auf die
vollkommene Plastizität seines Werkes verzichtet, als daß er riskierte
es zu entstellen. Und dies »Entstellen« führt uns auf die zweite
Möglichkeit, die hier in Betracht kommt.
Bei Überschreitung der Irrelevanzgrenze kann nämlich auch der
Fall eintreten, daß der Hörer sich ein falsches Bild von dem gemeinten
Gegenstand macht, indem er die Wiedergabe für gelungen hält; respek-
tlve es kann der Lesende selbst das Gedicht anders auffassen, als es
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oder auch in den gemeinten intentionalen Gegenständen. Von diesen
letzten ist es leicht nachzuweisen, z. B. von dem mit dem »Ich« ge-
meinten Müllerburschen, daß sie variieren können. Man kann sich
denselben groß oder klein, ein Jahr älter oder ein Jahr jünger vor-
stellen, der ästhetische Gegenstand, das Gedicht als Ganzes bleibt
deshalb durchaus »dasselbe«. Indes hatten wir korrigierend gesagt,
daß der Müllerbursch, als der mit dem verselbständigten »Ich« gemeinte
Gegenstand, nur »implizite« mitgemeint sei, es wäre also erst zu unter-
suchen, wie oder ob überhaupt ein Gegenstandsganzes von den Än-
derungen seiner implizite mitgemeinten Teile mitbeeinflußt wird. Und
andererseits hat man sich zu hüten, den gemeinten Gegenstand nicht
m't den illustrierenden Vorstellungsbildern zu verwechseln; bei diesen
ls| es noch offensichtlicher, daß sie im weitesten Umfange variieren
können. »Ich schnitt es gern in alle Rinden ein« läßt der Phantasie
unendlich weiten Spielraum: jeder Müllerbursche, jede Art von Messer,
jeder Baum kann dafür als indirektes, »Fülle« gebendes Moment dienen,
ohne daß sich daraus eine ebenso vielfache Vieldeutigkeit des ästhe-
tischen Gegenstandes oder auch nur ein mehr oder minder hoher
Grad der Realisation ergäbe; all diese Variationen sind durchaus irre-
'evant.
Dagegen besitzt der Ausdruck entsprechend seiner fundamentalen
Bedeutung gerade für die Ausdruckspoesie eine äußerst geringe Varia-
u'onsmöglichkeit, und eine noch so kleine Abweichung macht leicht
schon einen wesentlich »anderen« Gegenstand daraus.
Wird nun die Irrelevanzsphäre überschritten, so kann, wie
schon erwähnt, verschiedenes eintreten. Erstens kann die Realisation un-
vollkommen sein, und dabei ist es für uns natürlich völlig gleichgültig,
°b diese Unvollkommenheit von dem Rezitator oder unserem eigenen
Ohr, von unserer Unaufmerksamkeit oder sonst etwas herrührt. Und
diese Unvollkommenheit kann derartig zunehmen, daß man schließlich,
wie bei der Musik, sagen wird, die Wiedergabe genüge nur, um uns
ein »Bild« von dem Gedicht zu machen, oder daß man gar nur von
»andeutender« Wiedergabe spricht. So z. B. wenn ein Autor seine
Gedichte oder sein Drama vorliest, der sich nicht als Rezitator und
Schauspieler fühlt und daher lieber hinsichtlich des Ausdruckes auf die
vollkommene Plastizität seines Werkes verzichtet, als daß er riskierte
es zu entstellen. Und dies »Entstellen« führt uns auf die zweite
Möglichkeit, die hier in Betracht kommt.
Bei Überschreitung der Irrelevanzgrenze kann nämlich auch der
Fall eintreten, daß der Hörer sich ein falsches Bild von dem gemeinten
Gegenstand macht, indem er die Wiedergabe für gelungen hält; respek-
tlve es kann der Lesende selbst das Gedicht anders auffassen, als es