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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0607
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Besprechungen.

K. W. F. Solger, Erwin, Vier Gespräche über das Schöne und die Kunst.
Eingeleitet und herausgegeben von Rudolf Kurtz. Berlin 1907, neu verlegt
bei Wiegandt & Grieben, gr. 8". XXX u. 396 S.
Ludwig Tieck, der diese Unterhaltungen über das Schöne, wie sie eben ent-
standen, auf seinem Landsitz zu lesen bekam, hat sich die Arbeit seines Freundes
durch die Wendung: ein philosophisches Lustspiel schmackhaft gemacht; und er
dachte sich dabei gewiß irgend eine reizende Mischung aus Nachdenken, aus Ge-
selligkeit, aus Landleben, wie er selbst eine in den Rahmenstücken seines »Phan-
tasus« gegeben hatte. Es scheint auch, daß Solger in Fühlung mit diesem Phan-
tasus auszuarbeiten angefangen hatte, aber seine wahre Art brach rasch durch. Es
ist der Vorteil des reflektierenden Dialogs, wie ihn Goethe, wie ihn Tieck schreiben,
daß das Denken nicht isoliert, sondern als die Funktion von Lebendigen erscheint;
daß es sich verwischt, wo die sachliche Reflexion aufhört und der Charakter an-
fängt. Aber Solger nimmt ihn nicht wahr. Unversehens werden ihm seine Unter-
redner zu bloß reflektierenden Geschöpfen, sodaß die ländliche Szenerie, die er
ihnen aufschlägt, im Grunde ganz außen bleibt und die Reinheit seines Schriftwerks,
dessen wahres Anliegen der Gedanke ist, beinahe beeinträchtigt. Wogegen ihm
die Form des Dialogs an sich gewiß einem innersten Bedürfnis entstammt: nur daß
Solger aus ganz anderen Motiven als die Dichter nach ihr greift. Es ist ganz eigent-
lich das dialektische Bedürfnis, das Bedürfnis durch Satz und Gegensatz seine Be-
griffe aufzuklären, das ihn treibt. Ja, den fragwürdigen Charakter des wirklichen
Gesprächs hatte er durchschaut: daß es sich darin überreden, nicht überzeugen ließe;
aber die dialektische Methode, in einer idealen Unterhaltung verwirklicht, schien
ihm durch gar nichts zu ersetzen. Und so entfaltet er denn einen lückenlosen Prozeß
von Entzweiungen und Versöhnungen, ohne sich jemals der perspektivischen Ver-
kürzungen zu bedienen, die das lebendige Gespräch gewährt. Übrigens mag ihn
ein gewisses breites, weiches Behagen am Sprechen selbst zum Dialog verführt
haben. Wenigstens ist davon im Vortrag zu spüren, und statt daß in ihm das
Denken durchscheinend würde, trübt er es durch heterogene Elemente. Die plato-
nische Diktion hat dem Schreibenden vorgeschwebt, aber die Vielfalt der Partikel, die im
Griechischen die flüchtigsten, lebendigsten Schatten über die Rede hinhauchen, macht
ihm sein Deutsch ungelenk. Und wenn etwas daran schuld ist, daß diese Dialoge
stellenweise zum Rätsel werden, so ist es, weil sich ihre Schreibart viel zu sehr
im Anschaulichen bewegt. Statt daß die Wendungen sich gegenseitig entfärben,
unbildlich machen, unterstützen sie sich geflissentlich darin, vom Abstrakten wie
von etwas sinnlich Wahrnehmbarem zu reden. Daraus entspringt eine Materiali-
sierung des Gedachten, ein mythologisierendes Verräumlichen, das durch anschau-
liche statt durch logische Evidenz ergreifen will, aber dem durchaus Unanschaubaren
gegenüber mehr verwirrt als hilft. Noch über den unwillkürlichen Sprachgebrauch
hinaus muß sich der Gehalt in konkreten Bildungen äußern: nicht nur daß eine
mystische Topographie der heiligen und der profanen Innerlichkeit entworfen wird,
 
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