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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Buechler, Karl: Die ästhetische Bedeutung der Spannung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0250
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KARL BÜCHLER.

dem ästhetischen Verhalten durchweg solche Dämpfung der Gefühle
zu verlangen. Wie sehr man nun gleiche Gefühlsanlage zum richtigen
Erfassen des Kunstwerks fordern möchte, die objektive Spannung
wenigstens ist für alle gültig, und es kann mit historischem Materiale
nachgewiesen werden, welche Inhalte darin verknüpft sind. Selbst die
Anerkennung seiner historischen Bedeutung, also der davon ausgehen-
den Beeinflussungen, wird sich erzwingen lassen, wenn man etwa die
Beweisbarkeit der Werte ablehnen wollte. Man hat ja schon oft die
Weltgeschichte mit einem riesigen Drama verglichen — »das Riesen-
drama Kultur« J) — und alles Werden aus Spannung und Gegensatz
der Kräfte erklärt. Harlan spricht es wie ein Bekenntnis aus (Schule
des Lustspiels S. 86): »Ich glaube, daß das Weltwerden ein einziger
Kampf ist, der Kampf natürlicher Triebe ums Dasein und um Macht,
der Allkampf zwischen dem göttlichen Trieb zur Weltblüte und dem
göttlichen Trieb zur Vernichtung. Die Spannung auf den Ausgang
dieses Allkampfes ist die regierende Einheit unseres ewigen Lebens.«
Die Geschichtswissenschaft sucht darin die Zusammenhänge und die
Einheit aufzudecken. An vielen Stellen fällt ja historisches und ästhe-
tisches Interesse nahe zusammen, und es ist eine oft erörterte Frage,
worin sie sich gleichen und worin unterscheiden. Offenbar treten in
der historischen Betrachtung die Verstandesspannungen und das kau-
sale Beziehen hervor, und dieser strengeren Verknüpfung liegt die
Wahrheit bezw. gewesene Wirklichkeit zu Grunde. Das rein ästhetische
Interesse gestaltet den Stoff zwar auch nach Wahrheit — eine typische,
sogenannte poetische Wahrheit —, aber der Gesichtspunkt für die
Verknüpfung ist der Gefühlswert. Nicht selten tritt eine Vermengung
zwischen den beiden Betrachtungsweisen ein, so daß gewisse Über-
ästheten die Geschichte ästhetisch genießen, andererseits »naturalistische
Kunstwerke«, angeblich ohne jede bewertende Auswahl, hingenommen
werden sollen. Dies ist mit dem Begriff der objektiven Spannung,
der das Kunstwerk gewissermaßen als historische Gestaltung und in-
dividuelle Verknüpfung von Inhalten auffaßt, keineswegs beabsichtigt.
Eher soll damit zu einer authentischen Wirkung der Kunstwerke vor-
gedrungen und ein fester Boden für die ästhetische Existenz gewonnen
werden. Der Begriff besagt also, daß nicht zufällig eine Spannung
davon ausgeht, sondern daß sie bei richtiger Aufmerksamkeit davon
ausgehen muß.

Auch die Stärke der Spannung ist damit in gewissem Sinne für
alle Aufnehmenden vorgeschrieben. Denn wie alle Kräfte durch
zurückgelegte Wege oder geleistete Arbeit gemessen werden, so auch

•) v. Berger, Über Drama und Theater S. 18.
 
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