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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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Wütschke, Hans: Friedrich Hebbel und das Tragische
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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0072
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68 HANS WÜTSCHKE.

sehen und daß dieses Leiden in uns Mitleid und Furcht erweckt.
Dies ist die durchgängige Ansicht seit Aristoteles. Auf der einen
Seite (Lipps) werden die Aristotelischen Begriffe vollkommen aufrecht
erhalten, aber im Gegensatz zu den Ansichten des anderen Teils der
Ästhetiker, wie Volkelt, faßt Lipps den Begriff des Mitleids gar zu
eng. Ihm ist es nicht ein Gefühl des Schmerzes, sondern ein Lustgefühl
und zwar das »Gefühl des absoluten Menschenwertes«, und Furcht
bedeute unser Fürchten mit und um den Helden, die Tragödie lehre also
rechte Furcht und echtes menschliches Mitfühlen (Grundl. d. Ästh.).
Bei Volkelt dagegen besteht die tragische Gefühlsbewegung »in dem
scharfen Zusammensein unlustvoller Bedrängung und Bedrückung mit
lustvoller Befriedigung und Kräftigung« (Ästh. d. Trag.). Die Aristo-
telischen Begriffe seien viel zu eng gefaßt, da vor allem alle erlösen-
den, befreienden und aufrichtenden Gefühle des Tragischen sich nicht
unter seinen Begriff des Mitleids bringen lassen. Aristoteles hebt
ausschließlich die subjektive Seite des Tragischen hervor; er begründet,
wie Dessoir bemerkt, »in psychologischer und realistischer Art«, läßt
aber die Frage nach dem eigentlichen objektiven Gehalt des Tragischen
außer acht. Auch Hebbel hat diesen Fehler erkannt, wenn er sich
auch nicht ganz klar darüber ausspricht: »Aristoteles hat auf die dra-
matische Kunst vielleicht noch schlimmer eingewirkt durch seine Be-
stimmung, daß die Tragödie Furcht und Mitleid erwecken solle, als
durch seine Einheiten. Und doch ist jene richtig, wenn man nur eine
Beschreibung des Gemütszustandes, den die Tragödie hervorbringen
muß, falls sie echt ist, nicht für die Definition ihres Zweckes
hält« ... (T. 15. 12. 46). Also auch Hebbel faßt wohl die Begriffe des
Aristoteles viel weiter, als sie tatsächlich gehen. Auf jeden Fall aber
vertritt er nicht jene optimistische Anschauung von Lipps, wonach
der tragische Untergang allein ein Lustgefühl, ein Gefühl der »Er-
höhung des Menschenwertes« auslösen soll.

Schuld und Versöhnung. Nach Lipps gibt die innere Macht
des Guten das Thema der Tragödie. Jede Versöhnung besteht in
uns. »Das, womit wir ausgesöhnt werden müssen, ist das Übel, das
erlitten wird, oder das Böse, das leidet, das Schicksal oder die Persön-
lichkeit, oder das eine und das andere zugleich« (Str. ü. d. Trag.). Es
fragt sich aber nicht, ob die tragische Person das Leiden — meist
den leiblichen Tod - - »unschuldig« oder »schuldig« erfährt, sondern
allein der Aristotelische Standpunkt ist maßgebend: ob der Tod eine
gerechte Strafe sei (ebenda). Volkelt verwirft diese wie auch die
Hegeische Ansicht, wonach die Schuld des tragischen Helden allein
durch das Schicksal, d. h. durch den Weltwillen bestimmt wird. Aller-
dings gibt es auch nach Volkelt ein Tragisches der Schuld, wo das
 
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