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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Groos, Karl: Das anschauliche Vorstellen beim poetischen Gleichnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0210

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204 KARL GROOS.

dieser Verhältnisse auch manches für Konrad Langes Theorie der
»zwei Vorstellungsreihen« ergeben wird *).

Wie schon bemerkt wurde, wäre es einseitig, wenn man bei dem
Begriff des anschaulichen Vorstellens nur an die visuellen Reproduk-
tionen denken würde. Was andere Sinnesgebiete anlangt, so sind in
den verschiedenen Aufzeichnungen außer akustischen und kin-
ästhetischen Vorstellungen (nach denen bei den Gießener Versuchen
gefragt wurde) fast gar keine sinnlichen Reproduktionen hervorgetreten.
Bei dem Sandgleichnis wird einmal (Gießen, a, Nr. 8) eine Tempe-
raturempfindung spontan erwähnt. Die Versuchsperson sah einen
gelblichen Wirbel; sie fügt in einer Anmerkung hinzu: »Ich hatte noch
die Empfindung, daß der Sand heiß war, so wie man Wüstensand
empfindet.« Es ist lohnend, die genauere Analyse solcher Erlebnisse
in der Schrift Downeys zu studieren; ich selbst habe, wie früher
(S. 188) erwähnt wurde, bei dem Vergleich des Hermes mit der Möwe
eine Reproduktion der Kühle erlebt, die nicht ohne Wirkung blieb.
Eine andere Versuchsperson (Gießen, a, Nr. 23) erwähnt eine Be-
rührungsempfindung. Auf die Frage nach dem etwa vorhandenen
kinästhetischen Miterleben antwortet sie: »Das weniger; aber ich glaubte
schon, den Sand in den Augen zu spüren.« Auch solche Reproduk-
tionen oder »Pseudoempfindungen« mögen öfters vorkommen, als aus
meinem Material zu ersehen ist.

') Nach Abfassung dieser Arbeit ist Othmar Sterzingers experimentelle Unter-
suchung über »Die Gründe des Gefallens und Mißfallens am poetischen Bilde« er-
schienen (Arch. f. Psychol. XXIX). Es handelt sich bei seinen Versuchen nicht um
die Darbietung ausgeführter Gleichnisse, sondern um das Lesen poetischer Tropen
(Metaphern, Metonymien u. dgl.), denen sich ein paar kurze Vergleiche anschließen.
Hierbei kamen, wie das der engeren Verbindung oder Verschmelzung von Sache
und Bild in solchen Figuren entspricht, sehr häufig Erscheinungen vor, wie sie oben
geschildert worden sind. Sterzinger nennt sie »Unterschiebungen«. Er
rechnet dazu das wechselnde Hin und Her zwischen dem Hauptobjekt und dem
Bilde, sowie das Nebeneinander und die völlige Verschmelzung der erregten Vor-
stellungen. So schreibt eine Versuchsperson zu einem Satze R. M. Rilkes (»Durch
die tief gekerbten Gassen rollt hell das Gold der Prozessionen«): »Mir gefällt die
Vorstellung der Bewegung und das Hin und Her zwischen Bild und Wirk-
lichkeit.« Eine andere bemerkt zu der Stelle »Das Schneehuhn hat den Hermelin
des weißen Winters abgelegt«: »Ich stelle mir das Gefieder als Hermelin vor,
und das gefällt mir wegen der Neuigkeit und Traumhaftigkeit.« Eine dritte (Thema:
»Es wimmeln vergnügliche Fische zu silbernen Massen im See«) urteilt: »Mir gefällt,
daß ich die Fische nicht mehr alsFische, sondern als Silber sehe.«
Nach Sterzinger können solche »Unterschiebungen« mißfällig wirken, meistens rufen
sie aber in der Beurteilung eine starke Wertsteigerung hervor. — Man kann hieraus
ersehen, daß bei dem spezielleren Fall anschaulichen Vorstellens das »Hin und Her«
zwischen zwei verschiedenen Reihen, das K. Langes »Oszillieren« oder »Pendeln«
entsprechen würde, tatsächlich vorkommt, aber nicht die einzige Möglichkeit darstellt.
 
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