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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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Görland, Albert: Die dramatische Einheit des "Kaufmann von Venedig" als einer Komödie
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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0235

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BEMERKUNGEN. 229

Graziano ist über Nerissas Vorwürfe ärgerlich, daß seine Treue nach dem Ver-
halten zum Ringeide beurteilt werden solle. Weiß er doch, daß das Aufbewahren
des »dürftigen« »Allerwelts«ringes keine Sicherung seiner Treue ist, noch umgekehrt.
Aber Nerissa antwortet ihm: »Ihr mußtet ihn, wo nicht um mich, um Eurer
Eide willen verehren und bewahren.« So soll denn auch hier der
Buchstabe eines Eides zur Geißel für den Willen eines Menschen
gemacht werden.

Ja, noch mehr: Portia hatte gesagt, daß sie das Recht habe, gegen Bassanio
die Klage wegen Untreue zu erheben, wenn der Ring durch irgend einen Umstand
von seinem Finger komme. Und in toller Seligkeit jagt der Humor der beiden
Frauen das Absurde eines Eides zu Tode, der einen Willen äußerlich durch den
Buchstaben fester binden zu können sich den Anschein gab, als es wortlos und
eidlos aus der inneren Kraft einer starken Liebe schon geschehen war.

Und als nun Bassanio, trotz allem unbelehrt, noch einmal durch einen Eid
sich Portia zur Liebe binden will, indem er bei ihren Augen schwört, da spricht
sie aus der Reinheit ihrer tiefen Humanität das Gericht über allen Eid des Wortes
mit seinem schielenden Blick: »In meinen Augen sieht er selbst sich doppelt, in
jedem Aug' einmal — beruft Euch nur auf Euer doppelt Selbst, das ist ein
Eid, der Glauben einflößt.«

So geht denn durch dies Werk mit seinem Reichtum an Motiven gleichwohl
einheitlich der eine große Gedanke seinen dramatischen Gang: Laßt Euren
Willen nicht unter die Geißel des schlaugenzüngigen Wortes
kommen! Wo Menschen in der Lauterkeit ihres Willens zuein-
ander treten, da wird ein freier Wechselgang der Taten sie bei-
einander halten.

Entsprechend diesem einheitlichen dramatischen Gedanken müssen wir in
Bassanio den Menschen sehen, über dem als seinem eigentlichen Opfer das Schicksal
droht. Das Schicksal, das über den guten Menschen kommt aus der Hinterlist des
gleißnerischen Buchstabens, hatte sich den Shylock als seinen unerbittlichen Sach-
walter erwählt, durch den die Tragik auf das Leben des Antonio und des in noch
tieferem Sinne getroffenen Bassanio fällt.

Aus dieser Tragik, die ihren harten Gang geht, scheint es keine Rettung zu
geben. Die Erfüllung des Rechtes gewährleistet der Staat, darauf beruht seine Würde
und seine Heiligkeit. Und Recht ist das, was der Buchstabe des Gesetzes sagt.

Da gewährt der freundwillige Zufall dem von der Tragik betroffenen Men-
schen das sonderbare Rätselwerk, mit dem ein besorgter Vater seine Tochter zu
schützen meinte. Wie ein Spiegelbild nur jenes tragischen Schicksals
taucht es auf; auch hier ein Schicksalspiel zwischen Buchstaben und Sinn. Aber
während dort den Bassanio das Schicksal in Tragik verstrickt, weil er mit seinem
Freunde dem Sinn eines Wortes mehr nachgeht als dem Buchstaben, reicht hier
mit gleicher Geste nun der gütige Zufall die helfende Hand. Und Bassanio trifft
in voller Einheit seiner Persönlichkeit hier nun die rechte Wahl. Denn das Glück
bediente sich in diesem Schicksalsspiegelbild des gütigen, weltweisen Vaters seiner
Portia als Helfers gegen Shylock.

Aus Zufall also trifft Bassanio diesmal das Richtige. Denn was weiß er
von der Absicht des Vaters der Porlia ? Und doch ist der Zufall durch wie immer
dünne Fäden mit dem Wesen Bassanios verknüpft. Ein Fünkchen Wahrscheinlich-
keit, wie ein weiser, in Liebe sorgender Vater den Besten der Männer für seine
Tochter zu finden versuchen werde, wird für den in der ernsten Schule des Lebens
geläuterten Bassanio Lichts genug, um das Glück zu packen.
 
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