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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0364

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358 BEMERKUNGEN.

wähnte zurück —: den tiefsten und innersten Grund 'seines Wesens bildete eine
bis zur förmlichen Scheu gesteigerte Bescheidenheit. Man konnte jahrelang mit
ihm bekannt sein und sich seines herzlichsten Wohlwollens und vollsten Vertrauens
erfreuen und doch nie auch nur ein Wort von ihm vernommen haben, das von
ihm selbst oder von dem, was ihn erfüllte, was ihm nahestand, was ihn innerlich
beschäftigte, etwas verraten hätte. Diese Verschlossenheit, fast möchte ich sagen:
(innerliche) Unzugänglichkeit — in Wirklichkeit ein Ausfluß seiner geradezu rühren-
den Bescheidenheit und (wenn der Ausdruck nicht gar zu pathetisch klänge!) intel-
lektuellen Keuschheit —, die er dem Freund wie dem nächsten Blutsverwandten,
dem einzigen Bruder, gegenüber in gleicher Weise bewahrte, konnte Fernerstehende,
die diesen charakteristischen Grundzug seines Wesens nicht näher kannten, mög-
licherweise leicht dazu führen, für einen gewissen Grad von Oberflächlichkeit oder
für Mangel an Tiefe zu nehmen, was in Wahrheit nur Bescheidenheit und die
Scheu, sich und die eigenen Angelegenheiten auf dem Präsentierteller darzubieten,
vielleicht auch eine gewisse Bequemlichkeit: sich aus der gelassenen Ruhe des Iu-
sich-selbst-abgeschlossen-Seins, sei es auch nur für einige Minuten, für die kurze
Dauer eines Gesprächs, nicht herauslocken zu lassen, war. Worauf es ihm ankam,
das war einzig und allein der Gedanke, und dieser in der denkbar schlichtesten,
einfachsten, kürzesten und prägnantesten Ausdrucksform; alles andere, alles
schmückende, aufputzende, rhetorische, schöngeistige Floskelbeiwerk, war ihm, wo
er solchem begegnete, eine lästige, störende Zutat, die er mit milder Ironie ab-
fertigte. Übrigens bedurfte es schon einer besonderen Diskrepanz zwischen An-
spruch und wirklichem Wert einer wissenschaftlichen Leistung, um ihm eine gänz-
lich ablehnende Stellungnahme abzunötigen; denn ein so durchaus wohlwollender,
grundgütiger und duldsamer Charakter wie der seine konnte nicht anders als jeder,
auch der ihm wesensfremdesten und entgegengesetztesten Erscheinung mit höchster
Objektivität, Sachlichkeit und größter Bereitwilligkeit, alles Berechtigte und Wert-
volle daran neid- und rückhaltslos anzuerkennen, entgegenkommen. So hatte er
auch für fremde Meinungen und Standpunkte, auch wenn sie im Gegensatze zu
seinen eigenen standen, ja diese selbst kritisierten oder gar negierten, wenn sie nur
von ehrlicher Sachlichkeit getragen waren und wissenschaftlichen Ansprüchen ge-
nügten, stets nur aufrichtige Hochachtung und ruhige Objektivität, ohne die leiseste
Spur persönlicher Empfindlichkeit oder kleinlicher Gereiztheit. In dieser Hinsicht
war er so recht der Typus des gutmütigen, liebenswürdigen und gemütlichen Alt-
österreichers, des lieben, seelensguten Menschen und makellos lauteren, intakten
Charakters, — ein Typus, mit dem er vielleicht auch noch einen anderen echt alt-
österreichischen, speziell wienerischen Grundzug gemeinsam hatte, von dem man
ihn — wenigstens wie mir scheint — nicht ganz freisprechen kann: den einer ge-
wissen Neigung oder Anlage zur Bequemlichkeit eines »laisser aller, laisser faire-■-,
einer liebenswürdigen, gutmütigen und gemütlichen Gelassenheit, die, um nicht aus
der behaglichen Ruhe ihres Gleichgewichtszustandes aufgestört zu werden, lieber
die Augen schließt und schweigt, wo der kernigere und markigere Norddeutsche
mit einem energischen »Himmeldonnerwetter!« dazwischenfährt. Wieviel freilich
von dieser Passivität nur als die Folge und Begleiterscheinung stiller Resigniertheit
und Zermürbung infolge getäuschter Hoffnungen, vernichteter Pläne und immer
wieder neu eintretender Hindernisse zu deuten sein mag, ist allerdings eine ganz
andere Frage, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann; nur die eine be-
trübliche Tatsache wenigstens steht fest: daß dieser hochbegabte, selbständige, be-
deutende Gelehrte und vornehme, gütige, lautere Charakter jahrzehntelang rang
und arbeitete, ohne jene äußerliche Anerkennung in Rang und Stellung zu finden,


 
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