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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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Major, Erich: Die Frage des Selbstzweckes
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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0368

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362 BEMERKUNGEN.

den Tätigkeit hinausgehen, ausgeschaltet sind, und es ist somit im wesentlichen
etwas Negatives, nicht etwas Positives, was sich hinter dieser Phrase verbirgt. Erst
die Klarstellung des Wesens, etwa der ästhetischen oder ethischen Werte über den
Begriff des Selbstzwecks hinaus kann die Möglichkeit geben, eine Wissenschaft der
Ethik oder Ästhetik aufzubauen.

Es sei jedoch angenommen, daß dies bereits gelungen sei, daß man, vom
Selbstzweck absehend, bereits gefunden habe, was den Kern der ethischen und
ästhetischen Probleme ausmacht. Wie ist die Rolle des Selbstzwecks innerhalb
dieser Kategorien ? Folgende Betrachtung drängt sich in diesem Falle auf. Der
Selbstzweck kann den Handlungen einen erhöhten Schwung und eine erhöhte
Reinheit verleihen, er kann jedoch zu einer Gefahr werden, die das Schlechte noch
verschlechtert und den Fehler noch empfindlicher gestaltet. Denn immerdar muß
die schärfste Nachprüfung durch Ökonomie und durch den Sinn für das Ver-
nünftige und Zweckmäßige vorhergehen, um zu vermeiden, daß das »im Fehler Be-
harren« entstehe, das den Römern als das ärgste Gebrechen erschien. Wer z. B.,
während zu Hause die größte Not herrscht, für die Neger Strümpfe strickt, handelt
sicher gegen die Ethik, trotzdem das Gute um des Guten willen geschieht. Wer
das Gute um des Guten willen tut und nicht prüft, wem er es erweist und wie
und wann er es erweist, wird leicht lächerlich und kann viel mehr Schaden zufügen
als nützen. Er kann leicht in einen Fanatismus geraten, der, wie etwa bei
Gregers Werle, zu abenteuerlichen Folgen führt. Das Vergessen der Zweck-
setzungen ist nur dann berechtigt, wenn vorher bereits durch Kritik und durch
strenge Selbsterziehung die Möglichkeit des Verfehlens herabgemindert ist. Der
Selbstzweck der Wahrhaftigkeit, der Güte, des Wohltuns und der Gerechtigkeit muß
seine Grenzen darin finden, daß die wahllose und unbedachtsame, unökonomische
Verwendung dieser Grundsätze zur Utopie und zur vollständigen Lebensvernich-
tung führt').

Jeder ernster Gestimmte wird das Gute zwar um des Guten willen, aber doch
mit der genauesten Zuchtwahl tun, die den Unwürdigen vom Würdigen trennt und
daran denkt, welchen Zweck die Anwendung der Güte verfolgen soll. Er wird
nicht nur in der Güte schwelgen, sondern auch Härte, ja Gewaltsamkeiten wird er
anzuwenden verstehen, um den Zweck der Güte zu erreichen, nämlich den wahren
und echten Nutzen dessen, der sie empfängt.

Dasselbe Gefahrenmoment durch den Selbstzweck findet sich im Ästhetischen.

Es ist ja auch das Merkmal des schlechten Künstlers zu schaffen, nur um zu
schaffen und sich um keine Wirkung und keine innere Berechtigung des Geschaf-
fenen zu kümmern. Der schlechte Dramatiker, der jährlich sein Drama liefert,
braucht keineswegs aus Berechnung zu handeln. Er wird sicherlich oft von seiner
eigenen Fähigkeit automatisch fortgetrieben, die Form, die ihm bequem ist, zu er-
füllen und durch Geschicklichkeit eng begrenzten Ansprüchen zu genügen. Dem
Dilettanten ist das Schaffen am allermeisten Selbstzweck. Er fühlt den Prozeß des
geistigen Gebarens als solchen als Genuß und Erhebung, dies so sehr, daß er ganz
auf den Zweck: vollendete Form und bedeutender Inhalt vergißt und in der Freude
am Produzieren das Produkt selbst vernachlässigt. (Grillparzer hat in seinem armen
Spielmann ein wunderbares Beispiel dieses rührenden Dilettantismus gegeben.) In

') So entsteht Militarismus dann, wenn das Militärische, das der Verteidigung
des Vaterlandes zu dienen hat, Selbstzweck wird; so entsteht die Karikatur des
Parlamentarismus, wenn das Sprechen und Debattieren aus Freude an der Funktion
selber betrieben wird.
 
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