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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0376

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370 BESPRECHUNGEN.

von einer Kritik eine knappe Skizze des Inhalts und eine Prüfung der Grund-
gedanken auf ihren Wert, so würde die Kritik, die dies versuchen wollte, dem
Werke Simmeis sicher nicht gerecht. Die stillschweigende Voraussetzung — die
jener Forderung bewußt oder unbewußt zugrunde liegt — ist, daß die betreffende
Arbeit eine methodisch-wissenschaftliche Form hat: etwa systematisch Beobachtung
auf Beobachtung türmt und dem gewonnenen Material ihre Schlüsse entnimmt oder
von einer logisch begründbaren Prinzipalauffassung her die Welt deutet. Da kann
man Methode und Ergebnisse aufdecken, weil sie in einer gewissen Weise ab-
lösbar und heraushebbar sind aus der Fülle, in die sie hineingestellt sind, die sie
trägt und emportreibt. Bei einem Kunstwerk ist ein derartiges Beginnen aussichtslos.
Was man herausschält, ist nicht das Kunstwerk und vermittelt auch keine an-
gemessene Vorstellung von ihm. Drei andere Wege sind da vielleicht gangbar:
man kann eine geschickt gewählte »Kostprobe« bieten, etwa durch Abdruck eines
Kapitels. Der geistige Atem, der das Werk durchweht, teilt sich dem Leser mit,
der nun weiß, was er erwarten darf. Man vermag auch der sehr schwierigen
Unternehmung sich zu unterziehen, eine künstlerische Umsetzung und Umlagerung
vorzunehmen: der Eindruck wird in suggestiven, treffenden Worten geschildert und
damit das Tor geöffnet, das zu seinem Erleben führt. Und endlich kann man eine
Beschreibung versuchen, die aber keine Inhaltsangabe sein darf, sondern Ganzheit
der Gestaltung deutet, die individuelle Notwendigkeit dieses Seins. Dies wären
auch die Wege, dem Werke Simmeis in einer »Besprechung« sich zu nähern. Und
ich muß rechtfertigen, warum ich jene Angleichung ans Kunstwerk vollziehe und
warum ich in dieser Besprechung keinen der drei Wege selbst einschlage.

Schon ein ganz äußerlicher Umstand legt die Vermutung nahe, das Buch stehe
in Beziehung zum Gedanken- und Gefühlskreise einer bestimmten Kunstrichtung,
des Expressionismus: der Verlag Kurt Wolff als Sammelplatz dieser neuen Bewe-
gung. Und in der Tat ist der Simmelsche Rembrandt die beste Werbeschrift, die
der Expressionismus sich nur wünschen kann: Geist von seinem Geiste. Dieser
Zusammenhang Simmeis mit dem Expressionismus ist bereits früher Hermann Bahr
aufgefallen, der in derlei Dingen ungemein hellsichtig ist. Simmel liebt es, die
Philosophen als höchste Typen bestimmter Formen der Geistigkeit aufzufassen; so
wird er sich wohl nicht mißverstanden fühlen, wenn wir geradezu bewundernd
anerkennen, daß er selbst einen derartigen Typus darstellt. Seine Schriften gleichen
Flußbahnen, in die das Wasser seiner Persönlichkeit einströmt. Verwegenste Schau-
ungen — deren tiefe Wahrheit man überrascht erkennt oder dunkel ahnend fühlt —
gleiten vorüber. Und wenn man irgendwo von einem Übersprudeln voll An-
regungen spricht, so gilt das in höchstem Alaße von Simmel. Grelle Blitze durch-
leuchten die Nacht. Aber ihr Licht dient nicht dazu, eine gleichmäßige und stetige
Helle auszubreiten, sondern es zerreißt das Dunkel hier und dort, und das Erinnern
an den Blitz bleibt im wiederkehrenden Schwarz der Nacht. Die reine Wissenschaft
hat immer den Charakter von Lampenlicht; Simmel Finsternis und Glanz des Lebens.
Ausgangspunkt ist ihm »jenes primäre Erlebnis des Kunstwerks, von dem dessen
philosophische Weiterführungen genährt .werden.« Dieses »ist nicht mit objektiver
Eindeutigkeit festzulegen; es bleibt, soviel Theoretisches auch von ihm ausgehen
mag, in der Form der Tatsache und ist der Theorie unzugängig — zwar nicht von
zufälliger Willkür bestimmt, aber von einer immerhin individuellen Gerichtetheit,
die die philosophischen Linien von ihm aus in mannigfaltigster Richtung verlaufen
läßt. Von jeder Gruppe solcher Linien kann man beanspruchen, daß sie zu den
letzten Entscheidungen führe, aber keine darf beanspruchen, zu den letzten zu
führen«. »Daß die daran angesetzten philosophischen Richtlinien sich durchaus in
 
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