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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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Volkelt, Johannes: "Objektive Ästhetik"
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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0429

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OBJEKTIVE ÄSTHETIK. 423

Kulturerscheinung die ästhetischen Grundgesetze abzuleiten, nur den
haltbaren Sinn haben, daß der Ästhetiker bei seinen psychologischen
Analysen und den sich damit verknüpfenden normativen Erwägungen
die Entwicklung der Kunst in den verschiedenen Zeiten und Kulturen
in möglichst umfassender Weise vor Augen haben solle. Der Trans-
zendentalphilosoph dagegen würde eine solche Auffassung jener Auf-
gabe mit vornehmer Geringschätzung von sich weisen. Er würde
darin ein Abirren in die niedrige Sphäre der Psychologie erblicken.
Nach seiner Überzeugung ist der »methodische« und »systematische«
Kulturgedanke ein rein aus dem Denken erzeugter Begriff. Unab-
hängig von Erfahrung und Geschichte gliedere er sich in die verschie-
denen Kulturgebiete, und gleichermaßen unabhängig von allen Ge-
gebenheiten der Psychologie und Geschichte lasse sich aus dem be-
sonderen Kulturgebiete der Kunst die Grundgesetzlichkeit der Kunst
deduzieren.

Ich kann mich nicht enthalten, den hierin sich bekundenden An-
sprüchen des Denkens den allerstärksten Unglauben entgegenzusetzen.
Bevor mir nicht ein Transzendentalphilosoph das Kunststück zweifels-
frei vor das Bewußtsein gebracht hat, den Begriff der Kultur (um nur
hiervon zu reden) aus dem reinen Denken zu erzeugen, d. h. wirk-
lich zu erzeugen, ihn aus den reinen Denkmitteln herauszuarbeiten,
so daß aller Verdacht: er sei im geheimen durch tausendfältige ge-
legentliche abgekürzte Induktionen aus dem Erfahrungsreichtum des
Transzendentalphilosophen herausgeholt worden, und die Tätigkeit
des Denkens beschränke sich darauf, das versteckt der Erfahrung
Entnommene in eine Begriffsschablone zu bringen, beseitigt erscheint:
so lange werde ich in meinem Unglauben verharren.

Der heutige Transzendentalismus scheint mir die Philosophie, in
schroffem Gegensatze zu Kant, in die äußerste Wirklichkeitsferne
rücken zu wollen. Eine erstaunliche Gedankenarbeit verwendet er im
Dienste der gesteigerten Verflüchtigung des Wirklichkeitserlebens.
Nicht das erfahrungsgesättigte Erleben der Kultur soll die Methode
des Kulturphilosophen bestimmen; sondern er soll das, was nur aus
tausendfältig verschlungenen Erfahrungen herausgearbeitet werden
kann, auf dem Wege der sich vornehmer dünkenden Begriffsdialektik
erzeugen. Es darf nicht wundernehmen, daß der Begriff der Kultur,
der auf diese Weise entsteht, den Charakter einer inhaltsarmen Formel
an sich trägt. Aber auch selbst beim Zustandekommen dieser Formel
stammt der dürftige Inhalt, den sie in sich schließt, aus dem Zusammen-
hang, in dem sich der Transzendentalphilosoph beim Aufstellen der
Formel insgeheim mit der Kulturerfahrung befunden hat.

Zusammenfassend darf ich sagen: weder gibt es in der Ästhetik
 
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