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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 1
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Klatt, Georg: Über Landschaftsschilderungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0029

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ÜBER LANDSCHAFTSSCHILDERUNG. 23

Eindruck nur. Warum werden sie eigentlich mit solcher Vorliebe be-
nutzt? Wiederum aus dem Grunde, weil der Schildernde seine Dar-
stellung damit aufputzen will. Aber noch etwas anderes ist dabei im
Spiele, und damit kommen wir zu einem recht wichtigen Punkte. Der
Schilderer will bei der Betrachtung der Natur etwas empfinden, er will
auch auf das Gefühl des Lesers wirken. Die bloßen Steinblöcke aber
sagen dem, der nicht zu sehen weiß, zu wenig. So greift er zu dem
Bilde und bringt dadurch sich und dem Leser den Gegenstand mensch-
lich näher.

Die Vermenschlichung — an dieser Klippe scheitern die meisten
Bilder. Die Vermenschlichung ist ein Fehler, denn es liegt darin so
viel Kleines, Kleinlich-Menschliches und Beschränktes. Die Natur ist
dem kleinen Menschen zu groß, sie redet nicht zu ihm, sie bleibt ihm
fremd; aber er weiß sich zu helfen: er zieht sie zu sich herab, er ordnet
sie in den engen Kreis seiner Gedanken und Gefühle ein, und siehe,
da wird sie ihm verständlich, er fühlt sich ihr nahe. Aber wenn sie
reden könnte, würde die große Natur den Menschen in seine Schranken
zurückweisen: »Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir.«
Also das Vermenschlichen ist ein Übel. Ja, wenn man das so
geradhin sagen könnte! Wir vermenschlichen ja auf Schritt und Tritt,
wir kommen ohne Vermenschlichung gar nicht aus; wir üben sie im
Kleinen und gleicherweise im Großen. Im Kleinen: ein Buch fällt zur
Erde; kaum aufgehoben, fällt es abermals auf den Boden. Das er-
scheint uns wie eine beabsichtigte Bosheit; wir reden das Buch ärger-
Hch an, als wäre es mit Verstand begabt — Vischers »Tücke des
Objekts«. Und wie wir hier im Kleinsten unser Seelenleben in die
Dinge hineinsehen, so verfahren wir auch im Größten: in unserer Auf-
fassung nimmt das ganze Weltall eine sehr menschliche Gestalt an.
Wir legen dem Weltgeschehen eine moralische Bedeutung bei, wir
schaffen Götter — nach unserem Bilde! —, die das All im Sinne einer
sittlichen Weltordnung leiten. Alles Aufklären ist erfolglos, die Geister,
an einer Stelle verscheucht, tauchen an einer anderen wieder auf. Und
so treiben wir's auch der Natur gegenüber. Wenn wir die Natur be-
trachten, bekommt sie unter unseren Blicken ein menschliches Antlitz
und sieht uns mit menschlichen Augen an. Immerhin will es aber
einen Unterschied bedeuten, ob wir alles, was uns umgibt, als einen
Spiegel ansehen, in dem wir nur uns selbst betrachten wollen, oder ob
wir den Blick ruhig und fest auf die Natur richten, ob wir gesonnen
sind, wenn wir von der Natur reden, nur ihr zu dienen, nur ihre Ver-
künder zu sein.

Ich gebe wieder ein paar Beispiele. In einer Schilderung lese ich:
»Den Boden bedeckt Heidekraut, unansehnliches Gestrüpp, das wartet,
 
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