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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 3
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Meyer, Theodor A.: Das deutsche Drama und seine Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0374

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IX.

Das deutsche Drama und seine Form.

Von
Theodor A. Meyer.

Die Kunst der theatralischen Inszenierung hat in der jüngsten Zeit
eine erfreuliche Wendung genommen. Sie hat der alten Kulissenbühne
den Abschied gegeben, die die realistisch getreue Wiedergabe der Räume,
in denen jede einzelne Szene spielt, als eine unumgängliche Aufgabe
der szenischen Darstellung betrachtet hat. Die moderne Inszenierung
begnügt sich mit einem Vordergrundsrahmen, der durch alle Szenen
des Stückes gleich bleibt. Dieser Rahmen will nicht mehr, als d'e
Grundstimmung des Dramas im Bild andeuten. Ein gotischer Bogen
versinnlicht das Unendlichkeitsstreben, das das Faustdrama beherrscht
und ein finsteres, düsteres Gemäuer kennzeichnet den düsteren Cha-
rakter des blutigen Macbeth-Dramas im düsteren Nebelland Schottland.
Die Veränderung der einzelnen Szenenbilder wird allein im Hintergrund
vorgenommen und geht über die charakteristische, die Phantasie an-
regende Andeutung nicht hinaus. Dadurch erlangt die Inszenierung
eine Beweglichkeit, die in der kürzesten Frist die Umstellung der einen
Szene in die andere gestattet.

Die Schnelligkeit, mit der sich die Umänderung der Bühnenbilder
vollzieht, hat Dramen für die Bühne gewonnen, die auf der Kulissen
bühne fast immer versagt haben. Wie schwer ist es der alten Bühne
geworden, den Götz oder die Gretchentragödie zu bewältigen. Der
Götz auf der Kulissenbühne mit den langen Pausen zwischen den
zahlreichen einzelnen Szenen war im Grund unerträglich und mußte
langweilen und selbst die unsägliche Poesie der Gretchentragödie war
in Gefahr von ihrer Langsamkeit erdrückt zu werden. Heute vermag
selbst der Götz in so raschem Lauf gespielt zu werden, daß er das
Publikum fesselt und die Poesie der Gretchentragödie muß nicht mehr
die Kosten der Inszenierung zahlen. Auf der neuen Bühne ist nicht
bloß das sogenannte regelrechte Drama heimatberechtigt, auch die
Dramen freien Stils weiß sie sich zu erobern.

Infolge der neuerlangten Bühnenfähigkeit hat das freie Drama m
der Gegenwart eine eifrige Pflege gefunden, es beginnt dem rege''


 
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