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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 1
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Volkmann, Ludwig: Das Kunstwerk als "Wertvolle Fiktion" : ein Beitrag zur Ästhetik des "Als Ob"
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0076

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denn dieser hat leider so oft seinen wissenschaftlichen Gegnern, darunter auch mir,
statt sachlicher Argumente persönliche Verunglimpfung geboten, daß ein ersprieß-
licher unmittelbarer Gedankenaustausch nicht mehr möglich ist:). Auch seine neueste
Äußerung im I. Band der »Annalen der Philosophie« bringt anstatt einer vertieften
Auseinandersetzung mit Vaihingers Ideen vorerst nur eine teilweise ähnlich geartete
Polemik gegen seine Kritiker, namentlich gegen den verstorbenen Ernst Meumann.
Es ist dies um deswillen besonders schade, weil zweifellos in Langes Theorie im
Einzelnen viel Richtiges enthalten ist, wie ich stets anerkannt habe, und weil mir
seine praktische, von der Kunst selbst ausgehende »Ästhetik von unten« als solche
sympatisch ist; mein aufrichtiger Wunsch wäre es daher, gerade an der Hand von
Vaihingers großem Gedanken, der ja inzwischen auch auf Lange beträchtlich ein-
gewirkt hat, eine Klarstellung und womöglich Verständigung auf indirektem Wege
zu erzielen.

I. »Wech sei zweierVorstellungsreihen« oder Klärung und Bereiche-
rung unserer Vorstellung?

Ich muß zu diesem Zweck auf die erste, kurze Bemerkung zurückgreifen, mit
der ich seinerzeit die Langesche Theorie halb zustimmend, halb ergänzend erwähnt
habe: »Es ist neuerdings eine Realistische Kunstlehre'vorgetragen worden, die das
Wesen der Kunst lediglich aus der größtmöglichen Illusion erklärt, und den Kern
des künstlerischen Genusses in einer ,bewußten Selbsttäuschung' sucht. Man kann
so manche Gedanken dieser Lehre gern annehmen, und möchte doch etwas über
dieselbe hinausgehen; gerade der Begriff der Klärung und Bereicherung
unserer Vorstellungen ist es, den ich — als wesentlichsten geistigen Faktor
des künstlerischen Schaffens wie des künstlerischen Genießens — darin vermisse.
Denn eine bewußte und freiwillige Illusion kann man sich schließlich auch vor
einem schlechten und geistlosen Kunstwerk, ja vor einer Photographie, verschaffen,
nur ein starker Künstlergeist aber vermag seinen Werken so viel des Eigenen ein-
zuhauchen, daß wir seine Anschauung, s ei n e Stimmung, seine Empfindung, die
eben geklärter, entwickelter, reiner ist, als die unsrige, mit zwingender Gewalt dar-
aus uns zu eigen machen müssen. Und in dieser Bereicherung allein vermag
ich die lusterregende Kraft des Kunstwerkes zu erblicken, nicht aber in einem Just-
erregenden Wechsel zweier Vorstellungsreihen' oder dem ,Hin- und Heroszillieren
zwischen Schein und Wirklichkeit'. Die Einzelausführungen Konrad Langes kommen
hierin mehrfach dem künstlerischen Geist weit näher als seine grundlegenden Defini-
tionen, die mir allzu .realistisch' am äußeren zu haften scheinen« "-). Auf diesem
Boden stehe ich, trotz aller Gegenargumente, auch heute noch, und gerade Vaihinger
hat mich endgültig in meiner Auffassung bestärkt, mit der ich übrigens damals wie
heute durchaus nichts Neues zu bringen, sondern nur etwas Selbstverständliches zu
verteidigen vermeinte.

Zunächst also, was ich aus Langes Lehre gern annehme: das ist die Tat-
sache der »bewußten Selbsttäuschung« als eines wesentlichen psychischen Vorganges

') »Absichtliche Verdrehung, Nichtgelesenhaben seines Buches, Sichherausreden,
Illoyalität« und dergleichen. Die Psychologen erkennen ihn nur deshalb nicht an,
weil sie einem Nichtpsychologen die große Entdeckung nicht gönnen! Näheres siehe
Kunstwart 16. Jahrgang Heft 23.

-) Das Geistreiche im Kunstwerk. Kunst für Alle 18. Jahrgang Heft 7 (1903).
Dazu K. Langes Erwiderung in Heft 10 und 11 und meine Entgegnung in Heft 16
desselben Jahrganges.
 
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