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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 1
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Carrière, Paul: Musikalische Verwandtschaft und Vertreterschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0105

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BEMERKUNGEN. gg

hältnis zwischen zwei Tonarten, deren Tonika um einen einfachen Grundtonschritt
entfernt ist, mit anderen Worten deren Funktionskreis sich um eine Dominante ver-
schiebt, indem die Tonika der einen zu einer Dominante der andern umgedeutet wird.
Das Verwandtschaftsverhältnis betrifft zunächst nur gleichartige Tonarten (Dur-
Dur, Moll-Moll), da gemäß der Quintenverschränkung die Dominanten ebenso ge-

5-5

3-3

1—1
staltet sind wie die Tonika, I—V. Das Verhältnis zwischen Dur und Moll ist kompli-
zierter, weil nicht so entschieden. Die diatonischen Mollakkorde einer Durtonart,
d- h. die aus den Terzen der Durfunktionen zusammengesetzten Mollakkorde bilden
unter sich einen Funktionskreis, der, dem Durkreis analog, als Ausdruck einer eigenen
Tonart erscheint (C-Dur — a-Moll, parallele Molltonart). Mit dem Augenblick aber,
da die Mollfunktionen sich vom Dur loslösen, um als selbständige Tonart aufzutreten,
stellen sie sich auf den Boden der gleichnamigen Durtonart (a-Moll — A-Dur) und
übernehmen von dieser gern die Oberdominante als die Funktion, die gerade in ihrer
^urgestalt die stärkste Bewegungstendenz zum Tonikadreiklang zeigt (Leitton!). Vom
gleichnamigen Dur aus erscheint die Molltonart als ein abgeschwächtes, gedämpftes,
getrübtes Dur, da die wesentlichen Töne, die Grundtöne der Funktionen, dieselben
S|nd und auch die Durdominanten in die Molltonart hinübergleiten. Das gleich-
namige Moll kann also als ein Dur mit Molltonika erscheinen.

Dieses »abgewandelte« Moll (wegen der abgewandelten Terz der Durtonika)
lst nicht verwandt mit dem gleichnamigen Dur; denn die Hauptbedingung: der
einfache Grundtonschritt, ist nicht erfüllt, da überhaupt keine Grundtonbewegung
stattfindet. Dagegen ist die Mollfunktion gleichsam wie dazu geboren, um gelegent-
lich die Durfunktion zu ersetzen, für sie einzutreten; bleibt doch im Grunde jedem
Akkord seine tonale Bedeutung, solange sein Grundton und das Grundintervall
(die reine Quinte) unverändert in Kraft bleiben, mag auch durch die abgewandelte
'erz eine innere Gleichgewichtsverschiebung eintreten, die einer fremden Funktion
auch Einfluß auf den Akkord gewährt. Indem nämlich die Durterz sich zur Mollterz
erniedrigt, erscheint zwischen der Mollterz und Quinte eine neue Durterz, die, kraft
"er Vormachtstellung der Durgrundterz im Durdreiklang, als Grundterz einer fremden
(der parallelen) Durtonika ge wertet wird (C-Dur — Moll — E s - D u r). Die Terz des Moll-
akkords erhält dadurch ein starkes Gegengewicht gegen den Grundton. Dieses
Schweben zwischen zwei Polen (paralleles Dur — gleichnamiges Dur) verleiht dem
Wollakkord seinen doppelsinnigen, zwiespältigen, unbestimmten und dem Dur gegen-
über unvollkommenen Charakter, zugleich aber auch sein ganz eigentümliches, selb-
ständiges Gepräge als Grundakkord. — Seine Tonart erscheint am selbständigsten
*'s Paralleles Moll mit Durdominante. Der Mollakkord tritt dann als Herrscher
ln einem besonderen Reiche auf, wenn es auch gleichsam keine einheitliche Nation
darstellt. Zugleich ist aber der Mollakkord als zusammengesetzter ein Mischakkord

aus zwei Durfunktionen, in diesem Fall aus Tonika und Subdominante (§()• Der

Schritt Dur-paralleles Moll ist die auf halbem Weg gehemmte Bewegung Tonika-
Subdominante. So, als halber Funktionsschritt und als Bewegung in ein neues
Punktionsgebiet erscheint der Übergang Dur — paralleles Moll als der ein-
fachste und kräftigste und das Verhältnis als Verwandtschaft zwischen Dur
Und Moll.

Außer der Verwandtschaft zwischen Dur und parallelem Moll besteht eine zweite
Mollverwandtschaft zwischen Dur und der Tonart der abgewandelten Subdominante
°der zwischen Moll und der Tonart der Durdominante (C-Dur — f-Moll, c-Moll —
 
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