Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Schmarsow, August: Zur Lehre von Rhythmus
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0116

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
HO BEMERKUNGEN.

Energie, verwirklicht eine »einfache« Ordnung. Dagegen ist es eine zusammen-
gesetzte oder verwickelte Ordnung, »komplexe«, die wir da verwirklicht sehen,
wo die Disposition der Dinge nicht allein in Rücksicht auf ihre Ausdehnung oder
ihre Zeitdauer hergestellt ist, sondern auch in Rücksicht sei es auf die Natur oder
die Eigentümlichkeiten dieser Dinge selbst, sei es auf die Intensität der Energie,
die sie bewegt.

Unter psychologischer Ordnung verstehen wir nicht allein die einfache
und rein zeitliche, gemäß der die Bewußtseinsvorgänge sich im Oeist abrollen,
sondern auch die Ordnung verwickeiteren Grades, die zugleich zeitlich und quali-
tativ ist, nach welcher der Geist seine Ideen einteilt, ausarbeitet und verknüpft, um
daraus sachgemäße und verständliche Darstellungen der Welt zu bilden, — oder
seine Gefühle ausdrückt, um damit die Kunst wie mit einer lebendigen Seele zu
durchdringen, — oder letztlich seine Willensregungen braucht, um Zusammenhang
und Sittlichkeit seines Betragens sicherzustellen.

Der Rhythmus ist diejenige besondere Form zusammengesetzter Ordnung,
wo ein unterschiedliches Element sich regelmäßig in ein System einschiebt, in Ab-
wechslung mit anderen nicht unterschiedlichen oder wenigstens nach anderen Ge-
setzen unterschiedenen Elementen.

Zwischen Ordnung und Rhythmus besteht also der nämliche Unterschied wie
zwischen einem gewöhnlichen Dezimaibruch und einem periodischen Dezimalbruch,
dessen Ziffern einzig und allein in ihrem absoluten Wert genommen werden.

In der Zahl 3,14159265358979 folgen sich Ziffern verschiedenen Wertes nach
einer bestimmten Ordnung. Dagegen in der Zahl 3113113113113,— oder ebenso
in der Zahl 94658309465S3094638309 . . folgen sich Ziffern nach einem Rhythmus.

Vom allgemeinsten Gesichtspunkt aus erscheint uns danach der Rhythmus als
eine höhere Regel, der die einer Ordnung zugänglichen Dinge unterzogen werden.
Er systematisiert tatsächlich ihre Austeilung durch strengere und engere Bestim-
mungen als die, deren alleiniges Prinzip die Ordnung war, wenn auch bereits zu-
sammengesetzter Art. Die Ordnung kann tatsächlich das Wesen außer acht lassen.
Mag sie Wirklichkeit oder Abstraktion sein, ihr Material kann bleiben welches es
will, und dies ist bei der einfachen Ordnung tatsächlich der Fall. Der Rhythmus
dagegen, der immer eine komplexe Ordnung ist, berührt immer das Wesen
der Dinge mit, wenigstens in den Eigenschaften, die es offenbaren, und auf die
er seine charakteristischen Unterscheidungen gründet. Und natürlich, je mannig-
faltiger diese Unterschiede sind, desto zahlreicher sind auch die ausgenutzten Eigen-
schaften und desto tiefer ist der Eingriff in deren Natur, den der Rhythmus voll-
zieht.

Aber der Rhythmus ist etwas anderes und mehr als die komplexe Ordnung.
Er ist etwas anderes, denn die Ordnung ist ihrem Grundbegriff nach eine verständ-
liche Einteilung sei es des Selben, sei es des Verschiedenen. Der Rhythmus aber
ist die periodische Wiederkehr des Verschiedenen inmitten des Selbigen oder, was
gleichviel ist, des Selbigen inmitten des Verschiedenen und bringt so die beiden
hinzukommenden Vorstellungen einer Beharrlichkeit in der Ordnung und einer
numerischen und substantiellen Beschränkung der geordneten Elemente hinzu.
Nun aber wird der Rhythmus schon dadurch , daß er ein Beharrliches innerhalb
der Ordnung ist, etwas mehr als die komplexe Ordnung, nämlich eine neue Ordnung
über die vorhandene hinaus, dieser auferlegt. Und weiter dadurch, daß er zahlen-
mäßig oder stofflich die geordneten Elemente beschränkt, ist der Rhythmus ein
 
Annotationen