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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0126

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120 BESPRECHUNGEN.

wollten muß durch diese Vorstellung des Gewollten beherrscht sein. Alle künstle-
rische Arbeit ist daher notwendigerweise Arbeit aus der Vorstellung; in der bilden-
den Kunst insbesondere stets Arbeit aus der Vorstellung des Auges, d. h. Verwirk-
lichung von Vorstellungen sichtbarer Gegenstände. Daß die Beschaffenheit, um
derentwillen ein Gegenstand der bildenden Kunst als Kunstwerk gewertet wird,
nur seine sichtbare Beschaffenheit sein kann, ist gegenüber falschen Vorurteilen
leicht aus der Tatsache zu erkennen, daß wir den Kunstwert eines Gegenstandes
einzig aus seiner Wirkung auf das Auge beurteilen; er kann also nur in solchen
Tatbeständen begründet sein, die aus dieser Wirkung zu erkennen sind: d.h. in
sichtbaren Tatbeständen. Als erstes und fundamentales Prinzip aller künstlerischen
Gestaltung und demgemäß alles Kunstunterrichtes ergibt sich die Folgerung, stets
aus der Vorstellung zu gestalten und alle Einzelheiten der Gestaltung aus der vor-
gängigen Gesamtvorstellung des Gegenstandes zu entwickeln. Nur soweit die Vor-
stellung sichtbarer Eigenschaften des Gegenstandes die Arbeit beherrscht, kommt
künstlerische, d. h. sichtbare Gestaltung zustande. Aber nicht jede Verwirklichung
von Gesichtsvorstellungen ist schon Kunst. Denn das Sehen ist kein bloß passiver
Vorgang, sondern vielmehr ein Erkennen der Gegenstände durch das Auge; und
in Hinsicht auf diese Sichtbarkeit, d. h. eben auf die Erkennbarkeit durchs Auge,
bestehen zwischen den Gegenständen die tiefgreifendsten Unterschiede.

Betrachtet man etwa ein aus Pappe geschnittenes Quadrat von verschiedenen
Seiten her, so bietet dasselbe, je nachdem wir seine Vorderseite senkrecht zu unserer
Blickrichtung stellen oder aber das Quadrat allmählich so weit drehen, daß es aus
dieser ersten in eine zu unserer Blickrichtung parallele Stellung übergeht, die
mannigfaltigsten Verkürzungen perspektivisch gesehener Vierecke bis zum gerad-
linigen »Streifen« dar. Gegenüber dieser Vielheit der Erscheinungen aber verändert
das Ding selbst bei solcher Drehung keine seiner Eigenschaften: es bleibt das un-
veränderte, »beharrliche« Quadrat aus Pappe. Jede jener wechselnden Erschei-
nungen vergeht, sobald wir das Ding weiterdrehen oder unser Auge abwenden; —
das Ding selbst aber bleibt dabei abermals unverändert dasselbe. Das Ding ist
also verschieden von seinen Erscheinungen und ist mit keiner dieser Erscheinungen
gleichbedeutend. Das nämliche gilt von den Eigenschaften des Dings im Gegen-
satz zu den Eigenschaften seiner Erscheinungen. Die Form des Dings ist nichts
anderes als der gesetzmäßige Zusammenhang der Formen seiner Erscheinungen;
indem wir jene Form benennen, benennen wir eben das Gesetz dieses Zusammen-
hanges. Die »Kugelform« ist das Gesetz, daß die Erscheinungsform von jeder Seite
her kreisförmige Begrenzung hat; die Zylinderform ist das Gesetz, daß die Er-
scheinung von zwei Richtungen her kreisförmig, von den dazu senkrechten Rich-
tungen her rechteckig begrenzt ist usw. Demnach ist auch die Vorstellung des
Dings eben die Vorstellung des Gesetzes seiner Erscheinungen — nicht aber die
Vorstellung irgend einer dieser Erscheinungen. Die Vorstellung einer Erscheinung
kann vielmehr nur dann zur Vorstellung eines Dings werden, wenn sie ihrerseits
die Vorstellung jenes gesetzmäßigen Zusammenhangs nach sich zieht oder »asso-
ziiert«. Aber nur soweit solche Assoziation notwendig, d. h. nach allgemeinen Ge-
setzen unseres Vorstellens eintritt, nicht aber, wenn sie nur zufällig auf Grund be-
sonderer hinzutretender Umstände sich einstellt, kann die betreffende Vorstellung
mit Recht als die Vorstellung des Dinges bezeichnet werden. Wenn wir das Qua-
drat aus Pappe von der Seite her betrachten, so daß uns nur die Erscheinung eines
Streifens von der Dicke der Pappe sichtbar wird, ist diese Erscheinung keine sicht-
bare Erscheinung des Quadrats; denn niemand, der einen solchen Streifen sieht,
erkennt ihn als Quadrat, — wenn er nicht vorher zufällig eine der anderen An-
 
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