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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0241

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BESPRECHUNGEN. 235

logischen Typen zu schließen, so daß etwa Phiflias und Raffael als Statiker, Myron
und Michelangelo als Dynamiker bezeichnet werden könnten und der Übergang von
der Renaissance zum Barock in einer Wandlung der psychologischen Typen bedingt
Ware. Es ist doch nicht richtig, wenn Müller-Freienfels den Einfluß der technischen
Bedingungen etwa auf die Bewegungsdarstellung gering einschätzt und kunst-
Seschichtliche Grundbegriffe, wie sie H. Wölfflin entwickelt hat, außer acht läßt.
. e Begriffe des Statischen und des Dynamischen zur Bezeichnung von Gegensätzen
n der ästhetischen Form sind überhaupt relativ, ebenso wie da die Gegensätze des
ubjektiven und des Objektiven, des Speziellsehers und des Typensehers relativ sind;
er Stil einer Zeit oder eines einzelnen Kunstwerks kann uns von einem gewissen
esichtspunkt aus als »statisch« erscheinen, während er im Vergleich mit anderen
nm zeitlich voraufgehenden oder folgenden Kunstrichtungen vielleicht als »dynamische
selten muß. Ein Kunstwerk kann für sich gesehen zum statischen Stil gehören,
fahrend es innerhalb seiner Zeit doch, wenn auch in leiser Art, eine dynamische
ewegtheit ausdrückt. Gut stellt Müller-Freienfels als Beispiel für die Kunst des
atischen und die des dynamischen Typus den Sämann von Millet und seine Nach-
Hdung durch van Gogh gegenüber. Als Beispiel für die Kunst vom Typus des
Repressiven Ichgefühls wird die Kreuzigung vom Meister des Marienlebens und für
,e Kunst des gesteigerten Ichgefühls die Kreuzigung von Rubens angeführt. Ob
man Beethoven seiner Musik nach einem ausgesprochenen depressiven Typus zu-
rechnen muß, dürfte doch zweifelhaft sein. Nach den Rutz-Sieversschen Typen wäre
Qle Beethovensche Musik jedenfalls anders zu charakterisieren.

Irn dritten Teil seines Buches erprobt Müller-Freienfels seine Typenlehre an der
Analyse einzelner Persönlichkeiten und ihrer Weltanschauungen. Luther, Goethe,
"■ Wagner, Dürer und Kant greift er heraus. Aber so interessant diese kurzen all-
gemeinen Charakteristiken auch sind, so behalten sie doch etwas Vages und Sche-
•natisches und müßten erst durch exakte Einzeluntersuchungen, die sich auf bestimmte
Unkte der formalen oder inhaltlichen Gestaltung richteten, selbst durch stilistische
nd sprachliche Untersuchungen, bestätigt werden. Es sagt uns doch wenig, wenn
J^uller-Freienfels die Eigenart des Goetheschen Intellekts kennzeichnet als »ein von
^atur vorliegendes Überwiegen anschaulichen Vermögens mit speziellseherischer
Uld pluralistischer Tendenz«, und es ist doch fraglich, ob Goethe nur durch »be-
wußte Schulung« sich später erst »zu begrifflichem Erfassen, zum Speziellsehen und
Vereinheitlichen des Alannigfaltigen« erzogen habe (S. 229). Wenn Müller-Freienfels
"Whard Wagner als »Mustertypus eines auditorischen Motorikers« bezeichnet, so ist
fgegen darauf hinzuweisen, daß nach den Untersuchungen von K. Groos über »die
^»inesdaten im Ring des Nibelungen« (Arch. f. d. ges. Psych. Bd. 22, 1912), in
'esem Hauptwerk Wagners die optischen Phänomene entschieden den Vorrang
aben und die akustischen hier mehr zurücktreten als bei Schiller und Goethe. Das
2e'gt zum mindesten wieder, daß das Verhältnis des Dargestellten zu dem empirisch-
Psychologischen Typus der Persönlichkeit keineswegs so ganz klar und sicher be-
st'mmbar ist. Müller-Freienfels hat selbst erwähnt, wie Höffding Ostwalds Philo-
°Phie aus dem »motorischen Typus dieses Denkers« ableiten wollte, während Ost-
J^ald eine besondere motorische Veranlagung bei sich durchaus nicht wahrnehmen
onnte. Auch bei dem Schluß aus Kunstwerken werden hier Irrtümer leicht vor-
ornrnen, und es ist mir durchaus nicht sicher, ob Myron wirklich »Dynamiker« war
°°er ob Hildebrand als ein »Motoriker reinen Typs« gelten muß, wie Müller-Freien-
e,s behauptet, oder daß Dürers »ausgesprochen motorische Veranlagung« seinen
■nearen Stil bedinge und sein »pluralistischer und speziellsehender Sinn«, »die Man-
n'gfaltigkeit und das ,Krause' des Stiles« erkläre (S. 252f.). Bei einer solchen
 
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