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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0245

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BESPRECHUNGEN. 230

geneigt, jedes »schöne« indische Bildwerk als von Gandhara beeinflußt anzusehen.
Erst von 1908 an stellte E. B. Havell in geistvollen Büchern und Aufsätzen dieser
Anschauung eine scharfe Opposition entgegen.

Heute dürfte wohl ziemlich allgemein anerkannt sein, daß bei der günstigen
Lage Qandharas am südlichen Ende der nördlich vom Himalaya bis nach China
Rufenden Handelstraße es nicht ausbleiben konnte, daß manche meist recht äußer-
te Anregungen der dortigen Schule in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten
bis zu den fernöstlichen Ländern drangen ebenso wie in die nordindischen Gebiete,
aaß aber die national-indische Kunst, deren uns erhaltene Denkmäler bis in das

• Jahrhundert v. Chr. zurückreichen, in ihrer wesentlichen Formenbildung, die auf
Sanz unklassischem Kunstfühlen beruht, unbeeinflußt blieb.

William Cohn hat die Verhältnisse auf S. 25 —30 seines Werkes aufs klarste
auseinandergesetzt und dem Leser durch die Gegenüberstellung von Darstellungen
gleicher Themata in Gandhara- und national-indischer Fassung die essentiellen Unter-
schiede deutlich und überzeugend vor Augen gestellt. Er hat sich damit die Bahn

reigemacht, um unbehindert durch gelegentliche Zwitterbildungen die Geschichte

es reinnationalen Kunstschaffens zu verfolgen.

In der »Einführung« (S. 1) betont Verfasser zunächst die wesenhafte Verschieden-
heit ägyptischer und indischer Kunst: Erstere »ist vor allem tektonisch. Gesetze,
s,chtlich der Architektur eingeboren, bändigen Ausdruck und Phantasie. Die Be-
rgung wagt sich nicht aus dem Block, das Relief nicht aus der hart den Raum
Umschließenden Wand. Der Ägypter ist Baumeister. Der Inder ist Plastiker. Selten
2e'gt seine Bildnerei eine Spur von tektonischer Bindung. Freies, hemmungsloses
Ausdruckstreben bedeutet alles. Atemlose Leidenschaft, stürmische Bewegung durch-
glüht sie.------In der Mitte zwischen zwei Polen, hier Tektonik, dort Ausdrucks-

nd Bewegungsüberschwang — Ägypten und Indien —, steht Europa mit seiner

charf gegliederten und immer wieder irgendwie der Wissenschaft ergebenen Kunst«
' • 1); »Sogar die Gesetze der Architektur-------werden in Indien immer wieder

orn Überschwang der Gefühle gelockert, ja durchbrochen und gänzlich aufgehoben.—
^as sind im Grunde jene für Indien so bezeichnenden Felsentempel! Eigentlich

kulpturen, durch Bildnerei entstanden, wie Bildnereien, nicht durch Addition, wie
ßau werke.«

»Indische Bildnerei ist rein religiös.« »Wie sollte auch eine weltliche Kunst

erjensmöglichkeiten gehabt haben bei einem Volke, das keinen Schritt in seinem

•"endasein ohne Aufblick zur Gottheit und ohne religiöse Vorbereitung zu tun
Pflegte« (S. 2). »Gestalten und Szenen, die uns weltlich und oft nur zu weltlich

•■scheinen, Porträts, Genreszenen, weibliche Wesen, die ihre Reize herausfordernd

n'hüllen, und Darstellungen der Freuden sinnlicher Liebe, die nichts verbergen, alles

leht in innigster Beziehung zu religiösen Gedanken« (S. 3).

»Ausdruck, Rhythmus und Bewegung (stehen dem Inder) höher als alles Ana-
°mische, der intuitive Begriff höher als realistische Zergliederung.« »Niemals möchte
~~ e'n indischer Bildner auf den Gedanken gekommen sein, es bedürfe anatomischer
Studien, um den wohligen oder straffen Rhythmus der Bewegung oder das sinnliche
0(Jer herbe Leben des üppigen oder zarten Körpers festzuhalten. Ja, der Mangel
^|ler wissenschaftlichen Neugierde in der Kunst war es wohl, der dem indischen
Meister jenes unendliche Feingefühl für Linienrhythmus und für Mannigfaltigkeit in
der Geste und Haltung der Glieder gab« (S. 5).

»Es ist bezeichnend, und berührt wohl gewisse tief wurzelnde Verschiedenheiten
der geistigen Haltung des Westens und des Ostens, daß nur Asien und Ägypten
"'e Natur in dem Maße in das Reich der Kunst einbezogen. Der westliche Mensch
 
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