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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0249

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BESPRECHUNGEN. 243

Die Tempel der heutigen Provinz Orissa an der indischen Ostkiiste (Kap. 6,
S. 36), deren älteste aus dem 6.—7. Jahrhundert stammen mögen, zeigen, wie es
scheint, Anklänge an Mathura in dem sinnlichen Zuge ihrer Plastik, an Amaravati
in ihrer unerschöpflichen Dekorationsfreude. Von den späteren dortigen Tempeln
des 12. und 13. Jahrhunderts gelten ganz besonders die Sätze: »Die Sinnlichkeit
des lebenden, atmenden Fleisches, die Wollust der Bewegungen wird absichtlicher
und bewußter herausgehoben« (S. 39). Diese religiöse Erotik scheint besonders
durch das Anwachsen der Sivaverehrung begünstigt zu sein. Dabei >wird der Dekor
selbständiger, die Figuren lösen sich vom Grunde und verlieren ihren Reliefcha-
rakter« (S. 38). Das gleiche gilt von der dekorativen Plastik des (Kap. 7, S. 39)
herangezogenen Jainistischen Tempels von Mount Abu, dessen Hauptgottheiten eine
religiös bedingte puppenhafte Eintönigkeit in Haltung, Ausdruck und Physiognomie
zeigen. Für eine Entwicklungsgeschichte der Kunst und des Pantheons des Jainis-
mus fehlt es übrigens noch an Material.

Die drei letzten Kapitel sind der südindischen und kolonialen Kunst gewidmet.
Südindien (Kap. 8 u. 9, S. 40 u. 43) wurde wesentlich von dravidischen Völkern
bewohnt [mit spärlichem arischem Einschlag. Für eine strenge stilkritische Sonde-
rung ihrer Kunst von der arischen des nördlicheren Indien scheint es noch zu früh
zu sein. Die ältesten aus dem 6. und 7. Jahrhundert stammenden schon voll ent-
wickelten Kunstwerke deuten wie überall in Indien auf verlorene Vorgänger. Einzel-
heiten wollen wir hier übergehen. Nur des großen Tempels von Madura (17. Jahr-
hundert) sei Erwähnung getan. Denn hier zeigt sich eine Spätentwicklung im Sinne
der Kunst von Orissa, wie sie im nördlichen Indien wegen der Herrschaft der
Mohammedaner sich nicht mehr entfalten konnte. >Jetzt erst scheint die Auflösung
aller Flächen, Fassaden und Innenräume, Träger und Bedachungen in wilde Bewe-
gungen vollendete Tatsache geworden zu sein. Nirgends findet das Auge einen
Ruhepunkt. Man ist vor diesen Türmen, in diesen Hallen, Gängen und Kapellen
wie geblendet und ringt nach Atem. Das Relief mit seiner die Figuren haltenden
festen Grundfläche entspricht den Bestrebungen der Zeit nicht mehr. Überall treten
Freifiguren vor die Flächen und Pfeiler. Statt der vielfigurigen Reliefs erscheinen
nun nach allen Seiten hin ausladende, oft von Figuren überquellende Freigruppenc
(S. 43).

(Kap. 10, S. 46.) In Ceylon wurde der Buddhismus zu Asokas Zeiten einge-
führt. Trotzdem sind die vorhandenen Denkmäler kaum vor das 5. Jahrhundert zu
datieren. Bei aller Vortrefflichkeit im einzelnen treten für die Gesamtentwicklung
indischer Kunst in der ceylonesischen, die bis zum 13. Jahrhundert blute, keine
wesentlich neuen Momente auf. — Von der Kunst von Kambodja, die uns beson-
ders in den Tempelskulpturen von Angkor-Vat (12. Jahrhundert) entgegentritt, läßt
s'ch nicht sagen, von welchem indischen Stile sie abhängt. Sie hat eine ausge-
krochene Eigenart, flache Reliefs, die von teppichartigen, unerschöpflich mannig-
fachen Ornamenten umgeben sind. Hier wirkt sich weniger eine religiös strenge
erhebende Bildnerei aus, als vielmehr spielerische Bewegung und Lust am Deko-
rativen, wie wir solche, vielleicht von Kambodja beeinflußt, auch in Siam antreffen.
"— In bezug auf Java nennen wir nur die beiden Denkmäler, die den Höhepunkt
dortiger Kunst bedeuten, Chandi Borobudur (9. Jahrhundert) und die Tempelgruppe
von Prambanam (10. Jahrhundert). »Jener bietet mit seiner unvergeßlich eindrucks-
vollen Silhouette und mit seinen zarten unübersehbar langen Relieffriesen ein Wunder
der Weltkunst, diese architektonisch weniger bedeutsam, zeigt zum ersten Male eine
Synthese brahmanischen und buddhistischen Geistes und die vielleicht packendste
Illustration zu Indiens Nationalepos, dem Ramayana« (S. 51).
 
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