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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0256

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250 BESPRECHUNGEN.

malerisch wiederzugeben, wesentliche Veränderungen an der Wirklichkeit anbringen
mußte: Um den Blick auf den König frei zu bekommen, mußten die Mitglieder des
Bundesrats in seiner Nähe nach rechts und links auseinandergeschoben werden usw.
Aber genau die gleiche kompositionelle Tätigkeit hat der Filmregisseur auch zu
leisten! Kurz nachdem ich diese Ausführungen Langes gelesen hatte, wohnte ich
der Filmaufnahme einer Königskrönung aus der Rokokozeit bei (in »Zwei Königs-
kinder«). Die Szene wurde erst, wie üblich, vor der Aufnahme gestellt und pr°'
biert, ganz so, wie bei einer Theaterprobe. Der Regisseur ordnete an, unter fort-
währender Rücksprache mit seinen Operateuren, die das Bild auf der Mattscheibe
ihrer Kamera verfolgten und ihre Wünsche äußerten. Man änderte, probierte und
versuchte dies und das. Endlich konnte zur Aufnahme geschritten werden. Von
dieser einen Szene wurden von zwei Operateuren zwei Aufnahmen, also im ganzen
vier gemacht, bei den ersten stand der Apparat zu ebener Erde, bei den folgenden
begaben sich die Operateure auf den Schnürboden und nahmen von dort auf. Man
wog ab, ob diese oder jene Aufnahme zweckentsprechender wirke, d. h. malerischer
wäre und sich für die von dem Lichtspieldichter gewollte Situation geeigneter er-
weise. Von solcher Arbeit, die bei jedem künstlerischen Film stattfinden muß'
kann Lange sich jederzeit überzeugen. Worin soll nun der Unterschied der komp0'
sitorischen Tätigkeit des Malers und der des Filmregisseurs und seines Stabes ge"
funden werden? Wohl im Grad, aber nicht im Wesen. Beim Arrangement der
Szene entfaltet sich die schöpferische Künstlertätigkeit des Regisseurs genau so, v/'e
es auf der Bühne geschieht! Wenn Lange seinen Vorwurf des Unkünstlerischen
dadurch zu stützen sucht, daß er (S. 79) auf den rein technischen Charakter der
:>kinematographischen Reproduktion« hinweist, so erscheint es uns müßig, nach dei
künstlerischen Qualität des Übermittlungsapparates zu fragen, der zur Wahrheit nur
ein mechanisches Werkzeug sein soll und seinen Zweck vollkommen erfüllt, sobald
er die künstlerisch geschaffene Szene ohne Änderung wiedergibt.

Der andere Grund, aus welchem Lange die künstlerische Wertigkeit des Lieh*'
Spiels bestreitet, ist die Begrenztheit seiner Ausdrucksmittel. Da der Film vorläufig
stumm ist, wirkt für ihn die Vorführung von Szenen, in denen man Personen
längere Zeit gestikulieren und sich unterhalten sieht, aber doch kein Wort hört,
lächerlich und wie ein Unding. — Darauf ist zweierlei zu antworten: Erstens sind
logische Auseinandersetzungen keine Vorwürfe für Lichtspiele: Faust- und Hamlet'
monologe, Nathans Ringerzählung, die meisten Ibsendramen sind allerdings im Licht-
spielhaus nicht möglich. Da die Alisdrucksmittel des Films die der Malerei sind,
so hat vieles von dem, was Lessing im Laokoon über die Veränderung des gleichen
Stoffes des Malers sagt, auch für das Lichtspiel Gültigkeit. Zugunsten des Kin°s
ist ferner anzuführen, daß sreh der Sinn der gesprochenen Worte aus der Situation
ergibt. Man vergegenwärtige sich eine Liebesszene und erwäge, ob die ausge-
sprochenen Worte irgendwie ausschlaggebend sind.

Meier-Graefe sagt im »Fall Böcklin«: »Wir wünschen ja gar nichts zu wissen,
sondern sehnen uns zu empfinden! Wir wollen in unsere Seele hinein, nicht in
unseren Verstand!«

Ein übler Behelf der Verständigung ist, wie Lange richtig bemerkt, die über-
mäßige Verwendung der »Titel«. Diese zwischen den einzelnen Bildern auf de
Leinwand erscheinenden Sätze, die uns mitteilen, was die Personen sich sage"'
sind eine Anleihe aus dem Wortdrama, und beweisen nur die Ungeeignetheit des
gewählten Stoffes oder die Unfähigkeit des Filmdichters, sich durch die rechte Ge-
staltung der Handlung allein verständlich zu machen. Wenn Lange dabei an d<
Pantomime erinnert, so kann das nicht glücklich genannt werden, denn die Panto
 
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