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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 3
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Daninger, Josef G.: Stilisierungen im Gebiete der Tonkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0296

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290 JOSEF G. DANINGER.

Worte Hanslicks: »Das Schaffen des Malers, des Dichters ist ein stetes
(inneres oder wirkliches) Nachzeichnen, Nachformen, — etwas nach-
zumusizieren gibt es in der Natur nicht. Die Natur kennt keine
Sonate, keine Ouvertüre, kein Rondo, wohl aber Landschaften, Genre-
bilder, Idyllen, Trauerspiele... Der Komponist kann gar nichts um-
bilden, er muß alles neu erschaffen... Der Volksgesang ist kein
Vorgefundenes, kein Naturschönes, sondern die erste Stufe wirklicher
Kunst, naive Kunst...1).« Hanslicks Arbeit: Vom musikalisch
Schönen, welcher diese Worte entnommen sind, ist längst kritisch be-
leuchtet worden, immerhin aber sind diese Worte bemerkenswert in
der Beurteilung der Tonkunst als nachahmender Kunst. Man könnte
daher vermuten, in der Tonkunst ließe sich überhaupt nicht von Stili-
sierung sprechen. Dies trifft jedoch nicht zu. In dem Sinne, wie
Hanslick an der angeführten Stelle darlegt, findet die Tonkunst aller-
dings keine Vorbilder in der Natur. Ein Landschaftsgemälde kann
das Abbild einer wirklichen Landschaft sein, die Alpensymphonie von
Richard Strauß ist kein Abbild von Naturvorgängen in dem Sinne, als
ob sich die Naturvorgänge, welche dort mit den Mitteln der Tonkunst
wiedergegeben werden, in der Natur nach Höhen- und Dauerwerten
im Sinne der Tonkunst gegliedert, zu Sätzen und Perioden zusammen-
geschlossen und mit den Werkzeugen der Tonkunst ausgeführt ab-
spielten. Trotzdem nimmt ein derartiges Tonstück Naturvorgänge zurrt
Ausgang und gibt diese eben mit der durch das Material der Ton--
kunst bestimmten Technik verändert wieder. Solche Veränderungen
sind aber grundsätzlich auch nicht anders zu beurteilen wie die Ver-
änderungen, welche der Bildhauer vornehmen muß, wenn er einen
Naturgegenstand etwa in Marmor wiedergibt. Er hat hierbei nicht nur
von der Farbe zu abstrahieren, sondern er wird auch durch die dem
bezüglichen Material eigentümliche Technik in der Ausführung be-
stimmt2). Es kann also auch in der Tonkunst von einer Stilisierung
der Natur gesprochen werden.

Das geläufigste Feld hierfür ist die Tonmalerei als Geräuschstili-
sierung. Aber noch andere Stilisierungen außermusikalischer Vorbilder
kennt die Tonkunst. Hierher gehört die Stilisierung der Sprechmelodie
zum Sprechgesang. In einem weiteren Sinne kann auch als Stilisie-
rung angesprochen werden die Nachahmung exotischer Musik im Ton-
material unserer Tonkunst. Von Stilisierung können wir auch dann
sprechen, wenn wir Produkte niederer Kunstübung in das Gebiet
höherer Kunstübung erheben. Hierher gehört das Hinübernehmen

') Eduard Hanslick, Vom musikalisch Schönen, Leipzig 1854 (1. Aufl.), S. 91 —92-
2) Vgl: Konrad Lange, a. a. O. S. 357 (Begriff des Materialstiles).
 
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