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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 3
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Baeumler, Alfred: Benedetto Croce und die Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0315

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BENEDETTO CROCE UND DIE ÄSTHETIK. 309

päischen Bewußtsein wirkungslos blieb, so ist auch die stille Arbeit
eines Rickert, gemessen an den Erfolgen Bergsons, scheinbar vom Be-
wußtsein Europas übergangen worden. Die Geschichtsschreibung
der Philosophie muß jedoch, in viel höherem Maße, als man auf Grund
Kantischen Urteils und Vorurteils anzunehmen pflegt, die Arbeit Baum-
gartens wegen ihrer Beziehung zu den tiefsten logischen Begriffen der
kritischen Ästhetik, gegenüber der italienischen, französischen und
englischen Geschmacks- und Kunstlehre rühmen, und so mag's auch
einmal den Spekulationen Rickerts ergehen. Der Tag wird kommen,
da man einsieht, es sei in diesen »scholastischen« Arbeiten Rickerts
für das Problem der Individualität eben so viel oder mehr geleistet
als in der Metaphysik Bergsons. In Wahrheit ist die deutsche Philo-
sophie schon seit langem mit dem Problem beschäftigt, das Bergson
und Croce heute am wirkungsvollsten im europäischen Bewußtsein
vertreten. Nur hat sich der deutsche Geist, der Gründlichkeit ent-
sprechend, zu der er verpflichtet ist, jahrzehntelang an der Bereitstel-
lung der Mittel zur Lösung jenes Problems befriedigt. Der Augenblick
'st aber vielleicht nicht mehr fern, in dem es sich zeigen wird, wie
fruchtbar diese Arbeit für das philosophische Problem des Lebens
gewesen ist. Croce hat in einem 1918 geschriebenen Aufsatz über
die literarische Kritik als Philosophie die Bemerkung gemacht, daß
man nicht sagen könne, in Deutschland seien die von den Denkern
der klassischen Periode angehäuften Gedankenschätze während der
letzten fünfzig Jahre ausgebeutet worden. Das ist sehr richtig gesehen,
die Zeit aber für das, was Croce hier vermißt, ist offenbar schon ge-
kommen. Der Neukantianismus hat zu einem vertieften Verständnis
des deutschen klassischen Gedankens geführt. Dieser Gedanke aber
■st, in seinem ganzen Umfang verstanden, kein anderer als der des
Individuums und des Lebens.

Anlaß zu Betrachtungen solcher Art gibt uns der neue Band von
Benedetto Croce, der unter dem Titel Nuovi saggi di Estetica im
Jahre 1920 erschienen ist1). Der Band enthält außer dem schon in
deutscher Sprache erschienenen Breviaria di Estetica (italienisch er-
schienen 1913) und einem Anhang (Akademierede über die Teleologie)
noch neun neue Aufsätze. Einen über Anfang, Perioden und Cha-
rakter der Geschichte der Ästhetik, zwei über die Kunst (»der Cha-
rakter der Totalität des künstlerischen Ausdrucks«, »die Kunst als
Schöpfung und die Schöpfung als Tun«), drei über die Kritik, einen
u°er den außerästhetischen Begriff des Schönen, einen über die bilden-

') Saggi Filosofici, V: Nuovi saggi di Estetica. Bari. Gius. Laterza & Figli 1920
3H S.
 
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