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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Meyer, Theodor A.: Das deutsche Drama und seine Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0387

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DAS DEUTSCHE DRAMA UND SEINE FORM. 33 {

Forderungen der vollkommenen Form nicht genügen zu können. Es
hat eine Tiefe und Weite der Weltauffassung, die sich in die Enge
vollendeter Formschönheit nicht mehr einspannen läßt. Shakespeare
Und Rembrandt, der Engländer und der Deutsche, die beiden höchsten
Meister germanischer Kunst, sind des Zeugen, aber was sie an Form
einbüßen, das holen sie an Tiefe und Weite der Menschendarstellung
herein. Das Menschensein in seiner ganzen Tiefe und dem ganzen
Reichtum seiner Erscheinungen zu erschauen, wird immer das Ziel
deutscher Dichter sein.

Ich glaube daher nicht, daß die Zukunft des modernen Dramas
<ri Deutschland in der Fortführung und unbestrittenen Herrschaft der
französischen Form liegt. Sie wird einer verinnerlichten, einer wesent-
lich germanischen Form Platz machen müssen. Die stets wachsende
Bewegung gegen diese Form wird nicht zur Ruhe kommen, bis sie
'hre Erfüllung in einem neuen großen Drama von volkstümlich deut-
schem Stil gefunden hat. Nicht als ob diese Form schon irgendwo
Vo" in unserer Dichtung entwickelt wäre. Der Götz hat, von ihrem
Gesichtspunkt aus betrachtet, erhebliche Mängel. Er leidet an der
Uneinheitlichkeit seiner Handlung und an dem zu breiten Sichvor-
drängen des epischen Elements. Am nächsten kommt ihr die Gretchen-
'ragödie. Aber auch sie stellt in ihrer ausgesprochen lyrischen Struktur
e,ne Besonderung dieser Form dar, nicht ihren Typus.

Oskar Walzel hat es in seiner »deutschen Literaturgeschichte seit
Goethes Tod« beklagt, daß es dem überlegenen dramatischen Genius
von Kleist infolge seines unglücklichen Bestrebens, die Synthese der
griechischen und der Shakespeareschen Form zu finden, nicht vergönnt
gewesen sei, die wahrhaft deutsche Form des Dramas zu schaffen.
Aber wie hätle er das können? Hat er doch, wie jeder echte Drama-
<>ker, für die lebendige Bühne schreiben wollen und an der damaligen
^uüssenbühne hätte ein solches Drama notwendig scheitern müssen.
Sollten wir es da nicht mit Freude begrüßen, daß die deutsche Bühne,
^V'e so manche neuere Aufführung zeigt, eine Bühnendarstellung von
So andeutender und beweglicher Art gefunden hat, daß sie auch dem
Szenenreichtum und der Stimmungsgewalt einer deutsch empfundenen
dramatischen Welt gewachsen ist?

Der Expressionismus hat sich die neuen Möglichkeiten, die die
stÜisierende Bühne bietet, zunutze gemacht. Er wurzelt ja von Haus
aUs im germanischen oder einem dem germanischen ähnlichen Kunst-
ernpfinden; er strebt nach Verinnerlichung und hat einen natürlichen
^ug zum Drama germanischen Stils. Aber sein Drama hat, das darf
■Tian sich nicht verhehlen, bisher enttäuscht. Es ist zuviel Verworren-
heit und Ungeklärtheit, zuviel Großstadtluft und erotische Schwüle,
 
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