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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0437

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BESPRECHUNGEN. 43 j

Physischen Überzeugungen vom Wesen der Individualität wurzelt! In einem »Dritten
»eil: Das Problem der Individualität in dramatischer Gestaltung« kehrt Hallmann
alsdann — der Entwicklung Hebbels, in der (ganz ähnlich wie bei Schiller) Früh-
zeit und Spätzeit durch eine Periode der philosophischen Reflexion getrennt sind,
vollkommen entsprechend — wieder zu dem Dichter zurück und arbeitet sehr gut
das für den gereiften Hebbel so vorzüglich bezeichnende vertiefte Verhältnis zur
Weltgeschichte heraus (das gleichfalls an Schiller erinnert!), wobei auch die Frage
nach dem »Hegelianismus<. des Dichters ihre Erörterung findet. In den Darlegungen
* 32 ff. liegj wohl der Höhepunkt der ganzen Arbeit. Mit einer Betrachtung der
"Reifedramen von ,Herodes und Mariamne' bis zu ,Demetrius'«, in denen Hebbel
sowohl seine Kunst des Individualisierens am erstaunlichsten entfaltet, als auch
seine tiefe Erkenntnis von der »Urschuld des Individuums, sich vom Weltganzen
■osgerissen und eine selbständige monadenhafte Welt gebildet zu haben«, meister-
haft an einer Fülle von tragischen Konflikten dichterisch zur Darstellung bringt, von
einem geschichtlichen »Welt-Hintergrund« sich abheben läßt und dadurch zu-
gleich auf die Höhe eines »Welt-Gesetzes« erhebt — schließt Hallmann.

Durch die ganze Darstellung hindurch zieht sich der Nachweis, wie Hebbel
■mmer und überall vom Subjektiven zum Objektiven vorzudringen bemüht ist und
W|e er zuletzt Sieger geblieben ist und »ein Sinnbild des Kampfes, als welchen er
°as Leben begriff: des Individuums gegen das Universum« (S. 58). »Das Problem
"er Individualität — sagt Hallmann in diesem Sinne in seiner Schlußbetrachtung —
erschien bei ihm zuerst ausschließlich unter der Form der Frage und des Dranges
der Befreiung des eigenen Ich. Je länger und tiefer er jedoch in die Welt sah, um
s° stetiger wandelte sich ihm das Problem ins Objektive, und zuletzt will er nichts
anderes sein als ,Dolmetsch eines Höheren', erstrebt er in den Formen seiner Kunst
>e'n historisches Bild des ungeheuren Slawenreiches'« (S. 57). Wie freilich damit
noch die Behauptung, Hebbel sei ein »tragischer Pessimist« gewesen (S. 18,
VVlederholt S. 28), zusammenstimmt, ist mir nicht verständlich. Will man Hebbels
*j-ebensstimmung« auf eine Formel bringen, so mag man von einem tragischen
^ Ptimismus reden; denn Hebbel ist nicht sowohl ein Geistesverwandter Schopen-
hauers, als vielmehr ein Geistesverwandter des jungen Hegel.

Im übrigen ist es schade, daß die Arbeit Hallmanns, die ein bedeutendes und
sehwieriges Problem mit vielversprechender Energie in Angriff nimmt, einigermaßen
an ihrer (wahrscheinlich durch die gegenwärtigen Druckschwierigkeiten gebotenen)
Knappheit zu leiden hat. So sind die an den Anfang gestellten Ausführungen
nber die »Individualität« Judiths und Golos noch viel zu skizzenhaft geblieben, und
\vas »Maria Magdalene« anbelangt, so heißt es zwar: dieses Trauerspiel »stellt den
Höhepunkt individueller Gestaltung im Drama schlechthin dar« (S. 11), aber »auf-
gezeigt« (wie doch immerhin an Judith und Golo) hat dies Hallmann nicht! Auch
hat leider die Gedankenlyrik Hebbels (mit einer einzigen Ausnahme S.23) keine
Berücksichtigung gefunden, was einen sehr großen Verlust für die Behandlung des
Problems bedeutet, da Hebbel seine »tiefsten Ahnungen und Gedanken über die
'etzten Dinge« immer lyrisch am glücklichsten zum Ausdruck gebracht hat. —
Vielleicht ist es dem Verfasser noch einmal möglich, seine Arbeit, der eine so vor-
zügliche Disposition zugrunde liegt, im Sinne dieser Disposition weiter zu ergänzen
und insbesondere auch die eigentlich »ästhetischen« Abschnitte, die Hebbels sehr
e'gentümliche und einer eingehenden Betrachtung überaus würdige dramatische Indi-
v'dualisierungskunst behandeln, auf die Höhe der prinzipiellen Ausführungen hinauf-
zuheben. Denn: die Kunst-Analyse mit dem philosophischen Verstehen zu ver-
binden und zu zeigen, wie letzten Endes (wenn man nämlich von den mißglückten
 
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