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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 4
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Utitz, Emil: Das Problem einer allgemeinen Kunstwissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0440

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434 EMIL UTITZ.

und sentimentalischer Kunst unsere Frage streift und kreuzt, wie sehr
er auch in seinem Denken und Dichten von außerästhetischen Mächten
beherrscht wird, keinen anderen Rat erteilt er dem Künstler, als einzig
und allein dem Gesetze der Schönheit zu folgen. Es war ja noch
nicht allzu lange her, daß A. O. Baumgarten — gerade hier in Halle -
die Ästhetik aus der Taufe hob, mit ängstlichen und umständlichen
Entschuldigungen ob des Wagnisses, eine derartige Einzelwissenschan
zu begründen. Bescheiden weist er ihr ein Plätzchen nicht neben,
nein unter der Logik an. Die begriffliche Erkenntnis thront über der
sinnlichen, von der ja die Ästhetik bekanntlich ihren Namen empfing-
Und wenn wir uns daran erinnern, daß noch ein Hegel das sinnliche
Scheinen der Idee in der Kunst schließlich überflügeln läßt durch das
nackte, angemessene Erfassen der Idee in der Wissenschaft, so daß
die Kunst dann aufhört — um mit seinen Worten zu reden — eirie
der höchsten Offenbarungen des Geistes zu sein, ihr also nur eine
sozusagen provisorische Geltung eingeräumt wird; und wenn v/n-
weiter daran denken, wie oft die Kunst vom Ethischen oder Meta-
physischen geradezu terrorisiert wurde, begreifen wir wohl, daß d<e
Autonomie der Kunst durch das Ästhetische zu jenem fast geheilig'erl
Banner wurde, an dem festzuhalten und das zu verteidigen dringlichste
Notwendigkeit erschien. Von jeglichem in diese Richtung geführten
Angriff befürchtete man Bedrohung der künstlerischen Freiheit, Unter-
höhlung ihrer Souveränität. Diese Überzeugung ist allmählich dog-
matisch erstarrt; und noch heute erscheint sie den meisten so selbst-
verständlich, daß sie die ursprüngliche Kantsche Problematik entweder
völlig übersehen oder verwischen. Die Übeln, ja verheerenden Folgen
eines solchen versteiften Dogmatismus konnten nicht ausbleiben, denn
die Orientierung geschah nicht an der Wirklichkeit der Kunst, sondern
an Begriffen, die an die Kunst herangetragen wurden. Und es kling
fast paradox: die Autonomie der Kunst, um die man so besorgt war»
sie gab man im tieferen Sinne des Wortes preis. Nur so wird es
begreiflich, daß die Ästhetik sich immer mehr vom Kunstleben und
von den historischen Kunstdisziplinen entfernte, bis in eine luftdünne
Isolierung hinein.

Ward das Schöne zum eigentlichen Herzen der Kunst, zu ihrer
Legitimation, dann durfte der Blick mit besonderem Entzücken bei de
Kunstzeitaltern verweilen, die eben jenem Ideale huldigten. Die gesamt
Kunstentwicklung wird begriffen unter dem Bilde einer Wellenbewe-
gung, die zu Höhen emporführt, um hierauf in Täler niederzugleiten-
Der Versuch, diese sogenannten Verfallsepochen zu rehabilitieren, muß1
in einen Kampf gegen die Ästhetik einmünden, denn sie war es Ja>
die mit ihren harten, strengen Formeln den Zugang zu sperren drohte-


 
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