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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 4
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Jordán de Urríes y Azara, José: Ästhetische Sondernormen der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0459

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ÄSTHETISCHE SONDERNORMEN DER KUNST. 453

auch die Ansicht, die Dessoir und Utitz vertreten. Da endlich jene
Normen allgemeinen Charakter zeigen, so ist ihre Anwendbarkeit auf
jedes künstlerische Erzeugnis Bedingung.

Eine zweite Erwägung ist jedoch von noch größerem Belang. Es
handelt sich dabei um das wechselseitige Verhältnis unter den künst-
lerischen Normen. Denn hier, in der Kunst, ist das Problem anderer
Art als im Ästhetischen gemeinhin. Die allgemeine Ästhetik nämlich
kennt, wie schon erwähnt, nur den doppelten Gesichtspunkt der Be-
trachtung einerseits, des Gegenstandes anderseits. Für die Kunst aber
kommt zu diesen beiden Gesichtspunkten noch ein dritter hinzu: der
Schaffensprozeß. So ergeben sich für die kunstästhetischen Theorien
drei Hauptpunkte: Das Kunstschaffen, das Kunstbetrachten und das
Kunstwerk als Gegenstand. Demgemäß werden aber auch die Normen
der Kunstästhetik einen dreifachen Charakter besitzen, nicht bloß einen
doppelten, wie in der allgemeinen Ästhetik. Erstens werden sich diese
Normen auf die Haltung des Betrachters beziehen; zum zweiten auf
das Kunstwerk; zum dritten auf den Künstler.

Nach diesen Andeutungen nun zu der Frage, welcher Art die
speziellen Normen der Kunst sind. Der einzige Begriff der Kunst, den
ich vollständig annehmbar finde, ist von Plotin im Verfolg seiner
philosophischen Ideen aufgestellt worden. Er lautet: die Kunst ist die
Erzeugung von Schönheit durch den Menschen. Mithin »die beab-
sichtigte Hervorbringung des Schönen« wie es Lipps ausdrückte, zum
Unterschied von der natürlich gewachsenen Hervorbringung. Oder mit
Porena zu sprechen »die freiwillige und gewollte Herstellung von
Schönheit«. Es ist hier nicht der Ort, die ganze Frage nach dem
Wesen der Kunst aufzurollen. Es sei nur festgestellt, daß die übrigen
Begriffe, die von den verschiedenen Denkern und Schulen verteidigt
werden, entweder die Grenzen der Sache überschreiten oder Merkmale
mit hineinnehmen, die sich nicht auf jede Kunst beziehen, d. h. zu
weit oder zu eng sind. So sehen z. B. einige das Wesen der Kunst
in der Nachahmung oder in der Illusion, während andere das Spiel
oder den Seelenausdruck zum Leitbegriff machen. Ich meinerseits
werde von der angedeuteten Definition ausgehen.

Da Kunst aus der Absicht entspringt, Schönheit zu schaffen, so
kann die Haltung des künstlerischen Betrachters keine andere sein, als
die ästhetische Haltung; und zwar getragen von der Gewißheit, daß
das, was er vor sich hat, Menschenwerk ist. So denken fast
sämtliche neuere Ästhetiker. Als Ausnahme ist Lipps anzuführen, dessen
Anschauungen ich später zu widerlegen haben werde. Im allgemeinen
wird von jedermann die einfache und zweifellose Tatsache anerkannt
 
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