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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 4
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Schmarsow, August: Zur Lehre vom Ornament
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0519

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BEMERKUNGEN. 5 j 3

Betonung der Formen des Gegenstandes, d. h. des Trägers, der damit geschmückt
oder ausgeziert wird, — es ist eine Hervorhebung derjenigen Formen oder Bestand-
teile des Gebildes, die eben ornamentiert werden. Und welche sind das, fragen
wir weiter, doch nicht alle, sondern jedenfalls bevorzugte? Aus der bloßen Relation
zwischen Ornament und seinem Träger ist für die Wesensbestimmung nicht viel zu
gewinnen. Die Formel o = x: y enthält zwei Unbekannte als Ersatz für das Ge-
suchte. Setzen wir für den unbekannten Träger y den bestimmter gemeinten ein,
also das Gefäß = vas, so bekommen wir o = x: v, eine Antwort, die uns auch nicht
genügen kann, solange der Träger nicht nach seinem Zweck und seiner Form
noch näher bestimmt wird. Gibt es aber nicht auch Ornament, das von seiner
Beziehung zum Träger frei geworden ist, das also beliebig übertragbar, etwa schon
als Erbgut, vorliegt, also auch für mancherlei andere Substrate ebenso zur Ver-
fügung steht? Die historischen Nachweise bei F. A. van Scheltema selbst bezeugen
genug solcher Fälle.

Auch dann aber sind die angebotenen beiden letzten Formeln für das Wesen
des Ornaments nicht erledigt. Es bleibt zu entscheiden, ob es sich um eine Dar-
stellung natürlich gegebener Kräfte im Objekt handelt, oder nur um eine dem
Augenschein dienende Beton u ng') der zwecklich-technisch ohnehin bestimmten
Formen des jedesmaligen Objekts. Im ersten Fall läge die Mitwirkung der Orna-
mentik zum Zustandekommen des Kunstgebildes selber vor, im anderen Falle nur
eine an sich überflüssige Zutat, die lediglich dem »Schein« zuliebe beigegeben wird,
aber auch wegbleiben kann. Die geschichtlichen Erscheinungen weisen beide Mög-
lichkeiten auf, und doch soll für die älteste nordeuropäische Zeit, bei deren Arbeiten
hier eingesetzt wird, die »tektonische Aufgabe des Ornaments« verfochten werden.
Eine befriedigende Definition für das allgemein durchgehende Wesen des Ornaments
überhaupt ist somit nicht geglückt, und die besondere für den Einzelfall nicht über-
zeugend erwiesen.

Das liegt meines Erachtens an dem einseitigen Beharren bei der objektiven
Methode. Man will auch in anerkanntermaßen ästhetischen Angelegenheiten alles
aus dem gegebenen Objekt allein herausholen. Und doch stellt F. A. van Scheltema
ganz richtig die Frage: wie denn in Wahrheit das erste (hier geradlinige) Ornament
entstanden sein möge (414). »Warum schreckt man doch immer davor zurück, diese
ersten Punkt- und Strichreihen aus einem primitiven Gefühl für die Schönheit geo-
metrischen Regelmaßes zu erklären? Warum soll um jeden Preis dieses geistige
Moment, das selbständige Erfinden und Schön-finden der allereinfachsten rhythmi-
schen und symmetrischen Zusammenstellungen, ausgeschaltet werden?« Ganz ein-
verstanden! das braucht der Verfasser der Anfangsgründe jeder Ornamentik nicht
erst zu erklären. Aber wo bleibt bei F. A. van Scheltema dies primitive Gefühl, ganz
abgesehen noch vom »geometrischen« Regelmaß, das wir vielleicht noch gar
nicht brauchen, um uns zu verständigen, und dessen einengende Bezeichnung wir
jedenfalls bei solcher grundlegenden Absicht lieber beiseite lassen, wie alle über-
lieferten, von schnellfertiger Klassifikation beliebten, oft so ganz äußerlichen und
irreführenden Namen, wie »geometrisches« oder richtiger noch planimetrisches (das
heißt ebenflächiges) Ornament, »Band«ornament, »Spiral«ornament und »Pflanzen«-
oder »Tier«omament. Wo bleibt dagegen das Gefühl, die subjektive Seite, d.h.

') Richtiger wäre vielleicht: abgekürzte Andeutung, im Sinne willkürlicher Ab-
straktion der Richtung solcher Kräfte. Unterschiedlicher gibt eine Reihe von Fremd-
wörtern die Möglichkeiten des Übergangs' zwischen Darstellung und Bezeichnung
wieder, wie Abbreviatur, Akzentuierung, Signalisierung usw.

Zeilsdlr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft XVI. 33
 
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