überzeugen, daß bei Schubert eine andere Einstellung auf Mignon vor-
liegt, Mignon ist bei ihm bedeutender, ernster und zusammengefaßter,
sie pendelt nicht wie bei Reichardt zwischen weichstem Sichauflösen
und schroffer Starrheit, es geht ein Zug durch ihre Selbstbetrachtung
und durch ihre Betrachtung der Außenwelt. Zwar ist die durch die
Strophen gebotene Dreiteilung wie bei Reichardt gewahrt und die Be-
ziehung der dritten zur ersten Strophe im Anfang noch deutlicher als
bei ihm, aber die Abkehr der zweiten Strophe ist nicht so unbedingt,
und ihre größere Wachheit ist gemildert durch die weiche, sehnsuchts-
volle Melodik; fast möchte man sagen, daß das Verhältnis der ersten
zur zweiten Strophe hier umgekehrt ist wie bei Reichardt. Der Anfang
der Schubertschen Komposition nämlich nützt eine Auffassungsmöglich-
keit des Metrums im Gedicht aus, eben die Hebungsfähigkeit der ersten
Silbe, während im Gedicht die beiden ersten Silben auf den gleichen
Schweregrad gebracht sind, wird hier die erste beschwert, und da in
der Musik der Anfang auf dem guten oder schlechten Taktteil sich i'11
Ausdruck noch deutlicher bemerkbar macht als in der Poesie, so be-
kommt die Komposition dadurch gleich ein bestimmtes Gepräge vott
Nachdruck und Ernst, der sie wesentlich von der gefühlvollen Melodik
Reichardts mit ihrem gleitenden Auftakt unterscheidet. Der fließende
dritte Vers führt dann Schubert auch in die Melodie mit Auftakt hinein,
und dadurch trennt sich bei ihm die erste Strophe in zwei Hälften, die
sich schon in der Melodieführung voneinander abgrenzen: in der ersten
Hälfte erhebt sich die Melodie nicht über die Mittellage, einzig das
Geheimnis tritt etwas hervor und bis auf das zweite heiß, das noch
an anderer Stelle besprochen wird, kommt auf jede Sprachsilbe nur ein
Ton; die zweite Hälfte dagegen kennzeichnet Aufschwung und rhyth-
mische Belebung, durch die die innere Erregung sich kundgibt, die
starre Entschlossenheit des Anfangs erscheint gelöst, die Wörter dir
und Schicksal werden zerdehnt, und zum Schluß zerstört ein Melisrna
die Beziehung zwischen den drei einsilbigen Wörtern des zweiten und
vierten Verses, so daß nicht einmal am Ende die im Gedicht so deut-
liche Entsprechung der Strophenhälften hergestellt ist. Das Verraten der
inneren Erregung und der Hingebung beherrscht bei Schubert also
auch die Rückwendung zum Schicksal, das mit mattem Seufzer und
ohne die düstere Festigkeit des Anfangs genannt wird; die Stimme
bricht in der Höhe ab und erst das Nachspiel führt die Melodie in ihre
Ausgangslage zurück. — Die zweite Strophe, die sich in C-dur stehend
von dem e-moll der ersten abhebt, hält trotzdem die Stimmung fest,
die Sehnsucht nach der Erlösung schweift in dieser auf- und absteigen-
den Melodie umher, und doch ist eine merkwürdige Klarheit und fast
schmerzhafte Objektivität in dieser Vision von Glück, sie beruht ebenso-
liegt, Mignon ist bei ihm bedeutender, ernster und zusammengefaßter,
sie pendelt nicht wie bei Reichardt zwischen weichstem Sichauflösen
und schroffer Starrheit, es geht ein Zug durch ihre Selbstbetrachtung
und durch ihre Betrachtung der Außenwelt. Zwar ist die durch die
Strophen gebotene Dreiteilung wie bei Reichardt gewahrt und die Be-
ziehung der dritten zur ersten Strophe im Anfang noch deutlicher als
bei ihm, aber die Abkehr der zweiten Strophe ist nicht so unbedingt,
und ihre größere Wachheit ist gemildert durch die weiche, sehnsuchts-
volle Melodik; fast möchte man sagen, daß das Verhältnis der ersten
zur zweiten Strophe hier umgekehrt ist wie bei Reichardt. Der Anfang
der Schubertschen Komposition nämlich nützt eine Auffassungsmöglich-
keit des Metrums im Gedicht aus, eben die Hebungsfähigkeit der ersten
Silbe, während im Gedicht die beiden ersten Silben auf den gleichen
Schweregrad gebracht sind, wird hier die erste beschwert, und da in
der Musik der Anfang auf dem guten oder schlechten Taktteil sich i'11
Ausdruck noch deutlicher bemerkbar macht als in der Poesie, so be-
kommt die Komposition dadurch gleich ein bestimmtes Gepräge vott
Nachdruck und Ernst, der sie wesentlich von der gefühlvollen Melodik
Reichardts mit ihrem gleitenden Auftakt unterscheidet. Der fließende
dritte Vers führt dann Schubert auch in die Melodie mit Auftakt hinein,
und dadurch trennt sich bei ihm die erste Strophe in zwei Hälften, die
sich schon in der Melodieführung voneinander abgrenzen: in der ersten
Hälfte erhebt sich die Melodie nicht über die Mittellage, einzig das
Geheimnis tritt etwas hervor und bis auf das zweite heiß, das noch
an anderer Stelle besprochen wird, kommt auf jede Sprachsilbe nur ein
Ton; die zweite Hälfte dagegen kennzeichnet Aufschwung und rhyth-
mische Belebung, durch die die innere Erregung sich kundgibt, die
starre Entschlossenheit des Anfangs erscheint gelöst, die Wörter dir
und Schicksal werden zerdehnt, und zum Schluß zerstört ein Melisrna
die Beziehung zwischen den drei einsilbigen Wörtern des zweiten und
vierten Verses, so daß nicht einmal am Ende die im Gedicht so deut-
liche Entsprechung der Strophenhälften hergestellt ist. Das Verraten der
inneren Erregung und der Hingebung beherrscht bei Schubert also
auch die Rückwendung zum Schicksal, das mit mattem Seufzer und
ohne die düstere Festigkeit des Anfangs genannt wird; die Stimme
bricht in der Höhe ab und erst das Nachspiel führt die Melodie in ihre
Ausgangslage zurück. — Die zweite Strophe, die sich in C-dur stehend
von dem e-moll der ersten abhebt, hält trotzdem die Stimmung fest,
die Sehnsucht nach der Erlösung schweift in dieser auf- und absteigen-
den Melodie umher, und doch ist eine merkwürdige Klarheit und fast
schmerzhafte Objektivität in dieser Vision von Glück, sie beruht ebenso-