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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 3
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Daninger, Josef G.: Stilisierungen im Gebiete der Tonkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0310

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304 JOSEF G. DANINGER.

musikalisch wie textrhythmisch eine Erweiterung der Gruppe II gegen-
über der Gruppe I dar, wodurch ein Moment der Mannigfaltigkeit in
die durch den rhythmischen Parallelismus verbürgte Einheit tritt. Die
Vertonung der Verszeilen 4—7 steht großrhythmisch der Vertonung
der Verszeilen 1—3 selbständig gegenüber, indem die letztere zwei ein-
ander entsprechende 2-Takter, die erstere aber ein rhythmisches Ganze
von 7 Takten mit Auftakt darstellt. Auch gegenüber dem orchestralen
Teil zeigt an dieser Stelle die Singstimme Selbständigkeit, indem sie
mit den Worten: »hoch und hell...«, welche doch textrhythmisch
den Worten »Starke Scheite ...« entsprechen, in der zweiten Hälfte
des 2. Taktes des oben bezeichneten 3-Takters einsetzt, während das
Orchester erst mit dem 1. Takte des folgenden 6-Takters ein neues
Gebilde, das Lohemotiv, bringt. Eine so geführte Singstimme trägt
auch zur Verkettung der kleineren rhythmischen Gruppen des Orchester-
satzes bei.

Zeigte uns die obige Stelle aus Wotans Erzählung die Stilisierung
der Sprechmelodie in einfachster, nur das Grundsätzliche aufweisenden
Gestalt, so erkennen wir aus dem angeführten Beispiel aus Brünhildens
Schlußgesang, bis zu welchen an der musikalischen Form mitbauenden
Gebilden die Stilisierung einer Sprechmelodie fortschreiten kann.

Die Ganztonleiter im Dienste der Stilisierung exotischer Musik.

Der Gegenstand der bisher besprochenen Stilisierungen lag außer-
halb des Gebietes musikalischer Kunst. Einmal bildete denselben ein
Naturgeräusch, ein anderes Mal die Sprechmelodie. Wir gehen nun zu
einer Stilisierung über, welche ihren Gegenstand der Musik selbst ent-
nimmt, allerdings nicht einer Musik unserer Musikkultur, sondern dem
Gebiete exotischer Musik.

Die Siamesen bedienen sich in ihrer Musik einer siebenstufigen
Tonleiter, welche zum Unterschiede von unserer siebenstufigen Ton-
leiter aus sieben gleichgroßen Stufen gebildet ist1). Mit unserer
Tonleiter hat diese siamesische Tonleiter nur das Oktavenintervall ge'
meinsam, während keines der anderen Intervalle mit einem Intervall
unserer Tonleiter übereinstimmt. Hierdurch steht die siamesische Ton-
leiter der unsrigen in eigentümlicher Weise gegenüber, die Töne unserer
Tonleiter erscheinen als den Grundton eines Klanges begleitende Ober-
töne, sie sind keineswegs wie jene das Ergebnis einer anscheinend

') Vgl. »Tonsystem und Musik der Siamesen« von C. Stumpf in: Stumpf, Bel'
träge zur Akustik und Musikwissenschaft, III. Heft, S. 69—13S, Leipzig 1901.


 
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