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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 3
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Paret, Hans: Konrad Fiedler
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0335

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KONRAD FIEDLER. 329

geborenen Werk hingeben. Nicht nur dem populären Denken ist ein
solches Verhältnis sehr einleuchtend, sondern auch eine Ästhetik wie
die Fechners sieht sich dazu gedrängt, ausdrücklich gegen die Be-
hauptung eines produktiven Moments im Kunstgenuß Stellung zu
nehmen. So beruht der ästhetische Eindruck etwa der Musik »in einem
lustvollen Verfolgen gegebener Beziehungen, nicht in einer Betätigung
des eigenen Produktionsvermögens«. Doch eben dieses »lustvolle
Verfolgen« ist noch ein Problem. Damit dieses Verfolgen überhaupt
lustvoll sein kann, muß doch zum mindesten vorausgesetzt werden,
daß der Hörer die gegebenen Beziehungen als Beziehungen eines
Kunstwerks verfolgt, daß er an dem Mannigfaltigen dieser Beziehungen
eine Synthese vollzieht zu der Einheit eines Kunstwerks. Denn auch
Wenn es des Komponisten Ziel sein soll, Lust zu erregen, so kann
diese Lust doch für den Hörer nicht rezeptiv aus der dargebotenen
Masse von Tonempfindungen entstehen, sondern erst aus einer spe-
zifisch künstlerischen Synthesis des Mannigfaltigen zu einem Kunst-
werk. Genau so, wie alle Zurückführung sittlichen Handelns auf das
aus diesem sittlichen Handeln als Begleiterscheinung entspringende
Lust- und Glücksgefühl als seinen Bestimmungsgrund an dem darin
liegenden Zirkel scheitern muß, so ist auch beim Kunstwerk die künst-
lerische Synthesis Voraussetzung dafür, daß überhaupt Lust eintreten
kann, und das Merkmal der Lust genügt nicht zur Kennzeichnung
des eigenen Wesens der Kunst, das vielmehr als besondere Art der
Synthesis bestimmt werden muß. Würde aber diese Synthesis des
Beschauers und Hörers nicht derselben Gesetzesordnung angehören
wie die Synthesis des Künstlers, so bliebe es ein immerwährendes
Wunder, daß wir bei der Vertiefung in eine künstlerische Schöpfung
von der Gewißheit durchdrungen sind, nicht nur beliebigen Genuß
zu finden, sondern uns der Seele des Künstlers verstehend zu nähern;
es müßte der Anspruch des Kunstwerks, als Kunstwerk verstanden
zu werden, soweit wahres Menschentum reicht, allgemein gültig und
allgemein mitteilbar, als große Torheit verworfen werden; unmöglich
wäre gemeinsames Kunsterleben, unmöglich wäre Kunstgeschichte als
objektive Wissenschaft, ja Kunst überhaupt als Kulturerscheinung würde
unmöglich, weil sie sich auflösen müßte in weiter nicht verhandelbare
Subjektivität. Wie aber die Allgemeingültigkeit geometrischer Sätze
nur auf der allen einzelnen Raumgebilden zugrunde liegenden iden-
tischen Gesetzlichkeit der Verknüpfung beruhen kann, so setzt auch
der Anspruch des Kunstwerks auf allgemeine Wirksamkeit eine allen
konkreten Gestaltungen zugrunde liegende identische Gesetzlichkeit
der Verknüpfung des Mannigfaltigen zu individueller Gestalt voraus,
lrn Künstler wie im Beschauer, überhaupt in jedem Bewußtsein, für
 
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