Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0127
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
114

BESPRECHUNGEN.

liehe begriffliche Analyse des zu untersuchenden Gegenstandes hinwegsetzt und alle
Zusammenfassung mittels kühn und geistreich anmutender Bilder vollzieht. Auf
diese Weise gelingt es denn auch, ohne allzuviele Mühe und noch dazu in genialer
Intuition die große Synthese zu finden, nach der heute in berechtigter Reaktion auf
die kleinkrämerische Zeit von gestern unser Streben zielt.

Diese Methode ist auch im vorliegenden Fall am Werk, wenn das Eingangs-
gedicht eines Buches seine kategoriale Zuteilung erhält, je nachdem es als »Kirchen-
tor« ein »Tor mit den Formen der Ferne oder als -Tor eines Patrizierhauses- einen
Schmuck der Nähe« darstellt, beziehungsweise eine »Welt in der Abbreviatur einiger
Vorgartenbeete> bedeutet, und wenn das Schlußgedicht entweder eine »Kuppel, die
die Lichtströme weihevoll über einem Innenraum zusammenrafft«, bilden oder »über
dem Bau als eindeckende Fläche« stehen soll. Denn ob solche Gedichte »die Dinge
in den Vordergrund« oder »in den Hintergrund rücken«, ob sie »Rampenkompo-
sition« oder »Fluchtpunktkomposition« andeuten, das hängt ganz von der Einstellung
der nur allzugefälligen Phantasie ab. Und je nachdem diese von den einen oder
anderen Momenten des Gedichtes ihre Anregung empfängt, wird die Gliederung
des Gedichtbandes entweder als eine Anlage von ungeheurer Horizontalwirkung«
oder als eine solche von vertikaler Übersteigung« erscheinen. Wenn vollends »die
ästhetisch-organischen Werte, die in der letzten Verzahnung der aufeinanderfolgen-
den Gedichte liegen«, als Ornamente, und zwar im einen Fall als »vegetabilische
Ranken (Wellenlinie mit ihren Spielarten)«, im anderen als »geometrische Konfigu-
rationen (Parallele und Kreis)« gesehen werden, so ist das nur möglic' indem die
besagte Methode all ihre Zauberkünste spielen läßt. Schon ein einziges Beispiel
— ich greife die Besprechung von Mörikes erster Gedichtsammlung vom Jahre 1838
heraus — gibt davon eine gute Vorstellung.

Das Buch zerfällt nach der Meinung der Verfasserin den Jahreszeiten entsprechend
in vier Teile, die einander gleichwertig sind. Der vierte Teil ist zwar viel umfang-
reicher als die drei ersten (27 + 24 + 34 + 62), aber das schadet dem ästhetischen
Aufbau offenbar nichts. Er wird eben »beschwert durch die große Anzahl der Mär-
chen, Widmungen und Sprüche, während sein Erlebniswert durch die Zahl 22 aus-
gedrückt wird und als solcher den ersten Teilen annähernd gleichkommt«. — Mitten
im ersten Teil, in welchem das »Frühlingsgeschehen« sich abspielt, findet sich leider
auch ein Herbstgedicht, der »Septenibermorgen«. Doch man muß sich zu helfen wissen !
Da glücklicherweise ein Frühlingsgedicht (»Er ist's«) unmittelbar folgt, so fungiert
hier eben der Herbst als Frühlingsbote. »Es zerreißt hier der Schleier vor einer
gedämpften Szenerie: Frühling wird es « — Nachdem Mörike das freie Ornament
der Wellenlinie eignet, gehen bei ihm »die anordnenden Momente von Gedicht zu
Gedicht in kleinen Schritten, fast in Tanzschritten von ehedem: vor, zurück, seit-
wärts in bunten figuralen Wendungen«. Dieser seltsame Tanz wird zuerst von
»Variationen der Liebe in verschiedenerlei Masken- aufgeführt. Auch ein »Masken-
wechsel findet dabei statt, eine äußerst nützliche Erfindung; denn ihr allein ist es
zu danken, daß die Verbindung der einzelnen Gedichte »durch den Faden einer
wahrscheinlichen Lebensaufeinanderfolge, wie sie die Nähe des Zuschauers mit
sich bringt (?)«, geschieht. Es ist wohl auch dem Masken Wechsel zugute zu halten,
daß die Verfasserin schließlich selbst die Geschlechter verwechselt und nicht er-
kennt, daß »der Knabe im Zwiegespräch mit der Schwalbe. (Ein Stündlein wohl
vor Tag) de facto ein Mädchen ist. Doch mit den Masken ist es noch nicht zu
Ende. Es »fügen sich sogar drei Maskengruppen an: Das Schäferpaar mit Storch
und Zwillingen — eine ulkige Dorfgruppe, die .schlimme Gret' und der Königs-
sohn', die Dorfhexe und ihr Liebhaber und eine lokalpalriotische (!) üämoneugruppe
 
Annotationen