Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0128
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BESPRECHUNGEN.

115

vom Muninielsee«. Und nun scheint plötzlich ein neuer Maskenwechsel die Tanzen-
den in Soldaten zu verwandeln; denn die Verfasserin sieht »die Spieler in Schwarm-
linien entwickelt längs der ganzen Breite des Terrains, vom Weinberg bis zum Mum-
melsee hinunter, ein Ausschnitt aus dem schwäbischen Panorama*. Ich habe allen
Respekt vor den geographischen Kenntnissen der Verfasserin, welche von der Exi-
stenz eines Mummelsees im Schwarzwald Kenntnis zu besitzen scheint, möchte mir
aber doch den bescheidenen Einwurf gestatten, daß der Mummelsee des Gedichtes
auf Orplid, einer sagenhaften Insel >im Stillen Ozean östlich von Neuseeland«, wie
es Im Maler Nolten heißt, gelegen ist. Warum hat aber auch AAörike dem See einen
so schwäbischen Namen gegeben! — Erwähnenswert ist es auch, daß es die Ver-
fasserin zuwege bringt, die Gedichte >Fußreise«, »Besuch in Urach«, »An eine Äols-
harfe und »Hochzeitlied« zu einem Zyklus zu vereinen, indem sie erkennt, daß
das vorhergehende Gedicht »Im Frühling« »in kurzer Anweisung auf das folgende
vorbereitet: ,Alte unnennbare Tage!' Ebenso glückt ihr die Zuteilung von »Mein
Fluß« an die Völkerlieder, indem sie den »naturburschenhaften« Charakter des Ge-
dichtes entdeckt. Jünglinge, die im Freien baden, sind wohl immer Naturburschen.
— Im zweiten Teil, dem »Sommererlebnis«, wird der »pastorale Liebeszyklus«
(Josephine, Auf der Reise, Frage und Antwort, Heimweh, Nachts) ebenfalls mit
grandioser Kunst geschlossen. Das Hochamt ist bereits schwüle Pastorenatmo-
sphäre. Zwischen »Schmerz und Wohlbehagen« geht die geruhsame Reise in der
Postkutsche dahin, in Fragen und Heimweh vergeht die Zeit fern von der Geliebten,
bis der freche Tag verstummt.« Auch die Gedichte »Die traurige Krönung-, »Chor
jüdischer Mädchen- und Der Gärtner« zusammenzuschweißen als »drei sagenhafte
Stoffe, die alle von einer verwandten Bangigkeit durchzogen sind«, ist keine so ein-
fache Sache. — Doch ich muß meinen Bericht über die Zauberkünste, welche in
dem Buch geübt werden, kürzer fassen. Nur auf die hoch entwickelte Eskamotage
sei noch hingewiesen, wie sie besonders in den beiden letzten Abschnitten des
Buches brilliert. Hier, wo naturgemäß (Herbst und Winter) eine trübe und resi-
gnierte Stimmung herrschen muß, bietet sich ihr die schönste Gelegenheit, alles
Heitere und Zuversichtliche verschwinden zu lassen, beziehungsweise in sein Gegen-
teil zu verwandeln. So wird in Lose Ware« die Schlußpointe: »Angeführt hat er
mich doch: denn will ich was Nützliches schreiben, gleich wird ein Liebesbrief,
gleich ein Erotikon draus< zur »müden Überlegung eines Dichters am Wendepunkt« ;
die Widmung »An Clara« erscheint als »letztwillige«; in der »Zurechtweisung« und in
den Sonetten ist das Glück natürlich nur ein »trughaftes«; und am Schluß (Karwoche)
gelingt es sogar, neben Christus, den geistigen Bräutigam, den weltlichen ins Grab
zu zaubern: »Der Bräutigam liegl im Grabe, Karwochenstimmung, wohin man sieht«.

Die bewußte Absicht, die darin liegt, daß die Mörikesche Sammlung mit dem
Gedicht »An einem Wintermorgen, beginnt und mit dem Gedicht »Um Mitternacht-
endet, ist wohl nicht zu verkennen. Leider stammt aber dieser Einfall, wie die Ver-
fasserin nicht zu wissen scheint, gar nicht von Mörike, sondern von Hermann Kurz
(vgl. Mörikes Brief an Kurz vom 13. Dezember 1837) und es ist nur gut, daß wenig-
stens der Entwurf der Gedichtanordnung, den Kurz für Mörike besorgte, in Verlust
geriet. Der arme Mörike hätte sonst auf die wunderbaren Rankenornamente, welche
ihm im vorliegenden Buch zugedacht werden, gar keinen berechtigten Anspruch er-
heben können. Diese Ornamente werden von der Verfasserin mit folgenden Worten
charakterisiert: »Betrachtet man die rein ornamentale Linie des Aufbaus, so haben
wir das wellige Geschlinge der Ranke vor uns, die nach oben und nach unten aus-
biegt und sich in manchen Teilen verknotend zurückschließt, lebendiger und aus-
ladender im ersten Teil (1 — 52) und langgestreckter und kleinkurviger im folgenden.
 
Annotationen