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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0136
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BESPRECHUNGEN.

123

liehen Chorarms nach 1249, Oesamtweihe 1. Mai 12S3, Vollendung der Türme nach
1314. Stilistische Untersuchungen haben vornehmlich Beziehungen zur zeitgenössi-
schen Baukunst festzustellen versucht. Darüber hinaus unternimmt Wilhelm Kästners
gründliches und vergleichseifriges Werk, Herkunft und Weiterwirkung ihrer Bau-
gedanken und Formmotive aufzuzeigen. Meyer-Barkhausen endlich geht es um das
Kunstwerk selbst, um das einzigartige und einzigmalige Sosein dieser Kirche, um
die Elisabeth-Kirche an sich.

Der Gewinn aus den beiden Büchern wird zugleich ein Wertmaßstab für zwei
verschiedene Betrachtungsmethoden eines künstlerischen Bauwerks sein.

Kästner kommt es zuerst darauf an, den zahlreichen Fäden nachzugehen, die
nach Frankreich hinüberleiten. Durch ihn erfahren wir, daß fast alle Zierglieder, die
er besonders liebevoll behandelt, ihre Vorbilder in den Kathedralen von Reims,
Soissons und Amiens haben: Kapitelle und Schlußsteine, Basen und Konsolen,
Rippenprofiie, der Portalschmuck und besonders die Fenster mit den Rundmaß-
werkstäben. Auch der zweigeschossige Aufbau mit äußerem Laufgang hat seinen
älteren Verwandten drüben, im Chor von St. Leger zu Soissons; die Grundrißbil-
dung der Halle mit dem klassischen Maßverhältnis 2:1 weist nach Reims, ebenso
die Gestaltung der Pfeiler. Die Dreikonchenanlage sucht er gemeinsam mit der
Liebfrauen-Kirche in Trier auch von Frankreich (St. Yved in Braisne) herzuleiten,
ohne daß er ihr Gemeinsames und Verschiedenes mit den rheinischen, besonders
den kölnisch-romanischen Dreillügelchören aufsucht, was Meyer-Barkhausen ver-
dienstvoll unternimmt. Im weiteren interessiert ihn St. Elisabeth als Mutterkirche
vieler anderer Gotteshäuser im nahen und weiteren Umkreis. Zu Filiationen ihrer
Dreikonchenanlage macht er die Schloßkapelle zu Marburg, den Südquerschiffarm
der Stiftskirche zu Wetzlar, den Chor der Liebfrauen-Kirche zu Frankenberg, den
Nordquerschiffarm des Doms zu Paderborn. Nicht genug bewiesen und von Bark-
hausen widerlegt ist Kästners Hypothese von der ursprünglich geplanten Basilika.
Doch sie genügt Kästner, um auch basilikale Filiationen von ihr abzuleiten: die
Totenkirche in Treysa, die Walpurgis-Kirche in Alsfeld. Sein Hauptinteresse geht
auf die Hallenkirche und — einmal — den westfälischen Einfluß, der nach Hessen
kam: die Stiftskirche in Wetzlar, die Zisterzienserabtei in Haina, das Paradies der
Stiftskirche zu Fritzlar, wie — dann — auf den hessischen Einfluß, der nach West-
falen kam, und damit auf eine stattliche Reihe ziemlich unbekannter Kirchen in
Obermersberg, Volksmarsen, Lünen, Warburg, Lippstadt, Minden, auf spätere
Töchter im 14. Jahrhundert bis zur schönen Liebfrauen-Kirche in Friedberg.

So richtig und wichtig vieles Einzelne in diesen Untersuchungen, so unentbehr-
lich Kästners Werk für weitere Forschungen ist, so scheint es schließlich doch so,
als sei die Elisabeth-Kirche aus einem Baurezept von Einflüssen und Beziehungen
entstanden, vorgefaßt von Bauperioden, umgestaltet von Bauherren. Ja, es scheint
sogar so, als mache das Ornament mehr das Bauwerk aus als das rein Architek-
tonische. Meyer-Barkhausen hat das erkannt und an Schniarsows Mahnung erinnert,
daß wir unsere Denkmäler neu erwerben müssen, um sie zu besitzen.

Und er hat in schmalem Bande (dein man nur einen besseren Einband wünscht)
endlich, ja zum ersten Mal, St. Elisabeth nicht eklektisch erklärt, sondern als das
große Bauwerk in organischer Harmonie, das es ist. Es kommt ihm auf die Würdi-
gung dieses Kunstwerks an und dabei fallen — fast wunderbar — alle Schwierig-
keiten der andern Betrachter weg; denn er entdeckt auch die volle innere Einheit
zwischen den drei verschiedenen Elementen dieses Baus: zwischen dem Dreikonchen-
chor, dem Basilikagrundriß und der Hallenkirche. Dehio und neuerdings R. Röm-
stedt glauben an einen anfangs geplanten Zentralbau, Kästner an den Erstentwurf
 
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