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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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Feldkeller, Paul: Die Einstellungsmetapher
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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0162
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DIE EINSTELLUNGSMETAPHER.

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gnomie ist demnach niemals eine einfache Gestaltqualität (z. B. ein reines
Blau, ein Ton, rein sinnlich aufgefaßt), sondern stets zusammengesetzt,
dagegen nicht notwendig »komplex«. Es ist auch sachlich berechtigt,
ihren Begriff nicht bloß auf menschliche und tierische »Gesichter« ein-
zuschränken. Es gibt Physiognomien von Pflanzen, Gebirgen, Land-
schaften, ja, wenn man Spengler glauben darf, auch von Kulturen, und
zwar nicht in uneigentlichem, metaphorischem, sondern buchstäblichem
Sinne.

Die »Physiognomien-: genannten Gestaltqualitäten sind aber keine
reinen Vorstellungsgegenstände, sondern sind Einstellungsphänome,
Subjektsetzungen mit Vorstellungsindex. In jedem physio-
gnomischen Auffassen verwirklichen wir uns: unser Subjekt tritt aus
seiner Reserve, in die wir Sachdenker es für gewöhnlich zwingen,
heraus und verwirklicht sich in sozialem Kontakt mit einem anderen
Subjekt. Jede physiognomische Auffassung ist daher Stellungnahme,
ist ohne schöpferische Subjektleistung, d. h. ohne Setzung des Subjekts
seiner selbst nicht möglich. Am deutlichsten sieht man an den kom-
plexen Gestaltqualitäten (solchen, in denen Erlebnisse, Gedanken, Wer-
tungen eine Rolle spielen), wie sie ganz Ausdruck des Subjekts sind.
Nur ein Beispiel: der bloße scheinbar abstrakte Gedanke an den kom-
menden, durchaus noch unsichtbaren Frühling schafft die Gestaltqualität
einer ganzen Landschaft um1). Darum ist physiognomisches Erkennen
stets Selbsterkenntnis, kein echtes Vorstellungs-, kein Sacherkennen.
Das Erleben einer bestimmten menschlichen Physiognomie hängt nämlich
erstens von einer spezifischen Artung des erlebenden Subjekts, zweitens
von einer jeweiligen menschlichen Reife ab (Gegensatz: die Fallgesetze,
die Keplerischen Gesetze, zu deren Erfassen es keiner menschlichen
Reife bedarf). Es ist darum unmöglich, daß jedes Subjekt jede Physio-
gnomie gestaltet. Im physiognomischen Erleben haben wir vielmehr
einen Gradmesser für das, was in uns selber steckt. Allerdings sind
die Physiognomien der krasseste Fall von Subjektsetzung. Die Fähig-
keit zu anderen Einstellungen dagegen wechselt, so namentlich die
Selbstverwirklichung des Liebenden an dem Geliebten, der für das Sach-
denken ein Trottel, für das verliebte Einstellungsdenken ein Gott und
Held sein kann. Auch hier liegt der »Erfüllungsort« des Denkens im
Subjekt: das Subjekt imeint« oder bezielt in der Vorstellung mit ein-
stellunghaftem Bedeutungsindex nicht das Objekt, sondern effektiv,
wiewohl unwissentlich, »sich selbst* (genauer: das undifferenzierte
Subjekt-Objekt). Und zwar meint es in der Physiognomie, was es ist,

') Ausführliches darüber in Zeitschr. f. Ästhetik u. allgem. Kunstwissensch. 10. Bd.,
S. 267 ff., namentlich S. 272.
 
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