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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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Böhm, Franz: Begriff und Wesen des Genre
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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0180
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BEGRIFF UND WESEN DES GENRE.

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bescheidene Rolle gespielt; man erwähnte es zwar gelegentlich, aber
die Sympathien dieser Ästhetiker gehörten einem anderen Kunstwillen.
Nur Schopenhauerl) wies ihm in seinem System eine einseitig bevor-
zugte Stelle an, was mit seinen philosophischen Grundlagen aufs
innigste zusammenhängt: die Geschichtslosigkeit des Genre (siehe
unten!) erwarb die Sympathien des geschichtsfeindlichen Metaphysikers.
Das übliche Schweigen und Totschweigen der Theorie entsprach aber
auch durchaus der praktisch-künstlerischen Einschätzung dieser Kunst-
gattung. Genre galt als Kunst untergeordneten Ranges: ihm fehlten
die großen Gegenstände der »klassischen Kunst«, das antike Schön-
heitsideal war ihm fremd, ja man spürte sogar etwas wie Empörung
gegen die überlieferten Gesetze der herkömmlichen Ästhetik in ihm.
Peter Cornelius nennt die Genremaler geringschätzig die »Fächler«,
»denen die Kunst nicht in ihrer Allheit und Einheit erscheint, sondern
die sich ein Fach auslesen und dafür allein arbeiten. Sie sind immer
ein Zeichen des Verfalls der Kunst« . . . »Die wahre Kunst kennt kein
abgesondertes Fach, sie umfaßt die ganze sichtbare Natur. Die Gat-
tungsmalerei ist eine Art von Moos oder Flechtengewächs am großen
Stamme der Kunst '-). Erst die unparteiische Gerechtigkeit Friedrich
Theodor Vischers hat dem Genre die entsprechende Stelle im System
der Ästhetik angewiesen3); die Liebe zu dieser Kunstgattung und damit
eine positive Anerkennung ihrer wahren künstlerischen Werte ist frei-
lich erst die Frucht eingehender kunstgeschichtlicher Forschung, die
auch die geistesgeschichtüchen und weltanschaulichen Bezüge nicht
übersah, sondern aus der Einheit einer historischen Kultur die Not-
wendigkeit eines neuen Kunstwillens verstehen lehrte. Die Ergebnisse
dieser fruchtbaren Forschung sind heute erst zum geringsten Teil von
der Ästhetik aufgenommen und verwertet; die Ästhetik der Zukunft
wird an ihnen nicht vorübergehen können, wenn sie nicht wertlose
Arbeit leisten will1). Nicht als ob sie sich mit einer Typologie histo-

') Schopenhauer, Welt als Wille und Vorstellung (Ausgabe Deussen), 3. Buch,
Abschnitt 48, S. 273: »Denn die flüchtige Welt, welche sich unaufhörlich umgestaltet,
in einzelnen Vorgängen, die doch das Ganze vertreten, festzuhalten im dauernden
Bilde, ist eine Leistung der Malerkunst, durch welche sie die Zeit selbst zum Still-
stand zu bringen scheint, indem sie das Einzelne zur Idee seiner Gattung erhebt.«

2) Ernst Förster, Peter von Cornelius. Berlin 1874, 1. Band, S. 274 und 368.

») Friedrich Theodor Vischer, Ästhetik, DL Bd., §§ 701-707.

<) Vorbildlich für diese Art der Forschung war Carl Neumanns großes Rem-
brandt-Werk, in dem sich an zahlreichen, verstreuten Stellen für die Ästhetik sehr
beherzigenswerte Anregungen finden (München 1901; 4. abgeänderte Aufl. 1924). —
Den schärfsten Protest gegen die »unerträgliche Usurpation« des klassischen Schön-
heitsbegriffes hat Wilhelm Worringer in seinen -Formproblemen der Gotik« erhoben.
Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß die empirisch-historischen Fundamente der
 
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