Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

DOI Artikel:
Böhm, Franz: Begriff und Wesen des Genre
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0181
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
168

FRANZ J. BÖHM.

rischer Kunstformen begnügen dürfte; als philosophische Wissenschaft
geht sie immer auf das Ganze der Kunst, auf die Welt der Kunst,
oder besser die Welt als Kunst schlechthin und forscht nach den
ewigen Werten und letzten Sinngesetzlichkeiten, die diese Welt auf-
bauen, wenn sie uns auch immer nur in ihrem Verhaftetsein mit der
historischen Wirklichkeit gegeben sind. Ein bekanntes Wort Jacobis
über Kants »Ding an sich« umformend könnte man sagen, daß man
ohne die Geschichte nicht in die Philosophie hineinkomme, aber mit
der Geschichte nicht darin bleiben könne.

Wenn wir die vorliegenden und geläufigen Definitionen des Genre
durchlaufen, so bemerken wir bei aller Verschiedenheit im einzelnen
nur zwei immer wiederkehrende Definitionstypen, die wiederum, was
die Methode betrifft, zusammengenommen werden können, insoferne
sie das Genre nach inhaltlichen Momenten des Darstellungsobjektes
gegen etwas anderes, die vermeintliche Antithese, abgrenzen. Der erste
Definitionstyp ist die Entgegensetzung von Genrebild und Historien-
bild. Er findet sich klar ausgesprochen bei Berthold Riehl1):

»Der Historienmaler stellt eine Situation, eine Handlung dar von
allgemeiner Bedeutung für die Geschichte des Volkes, ja der Mensch-
heit. Seine höchste Aufgabe ist, Motive, Gedanken, Ziele und Erfolge
der handelnden Personen zu versinnbilden. . . . Der Genremaler dagegen
führt uns in das private Leben der Menschen, er zeigt die Menschen
in ihren Sitten und ihrer Gesittung, er schildert nicht Taten, sondern
Zustände, und die Taten, die er bringt, dienen nur, einen Zustand
recht drastisch zu veranschaulichen.« Aber Riehl muß schließlich selbst
zugeben, daß die Genredarstellung auch auf den historischen Gegen-
stand übertragen werden kann und daß dann das Geschichtsbild ein
»historisches Sittenbild wird«. Der vermeintliche Gegensatz erweist
sich durchaus nicht als gegensätzlich und sehr wohl vereinbar mit
dem Genre, und der Versuch, durch solche Entgegensetzung eine be-
grifflich einwandfreie Definition zu entdecken, hebt sich selbst auf. —
Den zweiten Definitionstyp geben wir in der Form wieder, die ihm

Ästhetik einer Erweiterung dringend bedürfen und die Arbeit daran hat nicht ge-
ruht; ich nenne nur Emil Utitz. Aber so leicht, wie Worringer glaubt, hat sich die
klassische Ästhetik ihre Arbeit nicht gemacht, daß sie sich mit einer »stilpsycho-
logischen Interpretation des klassischen Stilphänomens« begnügt hätte, und man
wird diese Ästhetik nicht einfach als unzeitgemäß beiseite legen können. Auch
Worringer hat nicht den Weg zu einer universalen Ästhetik beschritten, sondern
gibt seinerseits eine »stilpsychologische Interpretation« des gotischen Stilphänomens
— und was dem einen recht ist, das ist dem anderen billig.

') Berthold Riehl, Geschichte der Sittenbilder in der deutschen Kunst bis zum
Tod P. Brueghels des Älteren. Stuttgart 1884.
 
Annotationen